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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Verwalter und kehrte nach Tübingen zurück, weil ich nicht noch eine Sitzung bei Coseriu versäumen wollte. Hinweise.

27
    Die letzten Monate in Tübingen brachte ich damit zu, schon im Vorhinein den Schönheiten dieser Stadt und ihrer Umgebung nachzutrauern, denn im Grunde ging es Adrià wie Bernat: Die Sehnsucht nach dem, was er nicht hatte, machte ihn glücklicher als die Betrachtung dessen, was er in den Händen hielt. Er überlegte, wie er es verdammt noch mal in Barcelona ohne diese Landschaft aushalten solle. Und dabei war er eigentlich mit der Fertigstellung seiner Doktorarbeit über Vico beschäftigt, eine Art Katalysator für seine Gedanken, der, wie ich wusste, eine Reihe von Überlegungen hervorbringen würde, die mir ein Leben lang nützlich sein würden. Und darum, Liebste, wollte ich mich nicht von Hinweisen ablenken lassen, die Unruhe in mein Leben und mein Studium gebracht hätten. Ich versuchte, nicht allzu viel daran zu denken, bis ich mir angewöhnte, gar nicht mehr daran zu denken.
    »Sie ist … Nein, nicht brillant: Sie ist tiefgründig; bewundernswert. Und Ihr Deutsch ist perfekt«, sagte ihm Coseriu am Tag nach der Verteidigung der Doktorarbeit. »Hören Sie bloß nicht auf zu studieren. Und sollten Sie sich für die Linguistik entscheiden, lassen Sie es mich wissen.«
    Adrià wusste nicht, dass Coseriu zwei Tage und eine beinahe schlaflose Nacht damit zugebracht hatte, ein von einem Gutachter geliehenes Exemplar seiner Arbeit zu lesen. Das erfuhr ich erst einige Jahre später von Doktor Kamenek persönlich. An diesem Tag aber blieb Adrià einfach allein auf dem Gang stehen und sah dem davongehenden Coseriu nach, ohne zu verstehen, dass der Mann ihn umarmt und ihm seine Bewunderung ausgedrückt hatte; nein: die Bewunderung für sein Werk. Coseriu hatte anerkannt, dass …
    »Was ist los mit dir, Adrià?«
    Er stand nun schon seit fünf Minuten reglos auf dem Gangund hatte nicht bemerkt, dass Kamenek von hinten an ihn herangetreten war.
    »Mit mir? Wieso?«
    »Geht’s dir gut?«
    »Mir? Ja … ja … Ich war …«
    Er hob unsicher die Hände, um zu zeigen, dass er nicht recht wusste, was er sagen sollte. Kamenek fragte ihn, ob er sich schon entschlossen habe, weiter in Tübingen zu bleiben und zu studieren, und er antwortete, leider sei er durch zahlreiche Verpflichtungen verhindert, was nicht stimmte, weil ihm der Laden völlig schnurz war und er einzig und allein das Arbeitszimmer seines Vaters vermisste und die Möglichkeit, sich nach der kalten Landschaft um Tübingen zu sehnen. Außerdem wollte er der Erinnerung an Sara näher sein; ohne dich fühlte ich mich wie beschnitten. Ich begann zu begreifen, dass ich aus all diesen Gründen niemals glücklich sein würde. Dass wohl niemand glücklich sein konnte. Wahrscheinlich lag das Glück immer vor einem, zum Greifen nah und doch unerreichbar, trotz der Freuden, die einem das Leben manchmal vergönnt, wie an dem Tag, an dem Bernat anrief, als ob sie nicht seit sechs Monaten mehr oder weniger offiziell verkracht wären, und sagte, hörst du mich? Endlich ist er tot, der alte Drecksack! Hier knallen überall die Sektkorken. Und dann sagte er noch, jetzt muss Spanien endlich seine Meinung ändern und seinen verschiedenen Sprachen und Kulturen die Freiheit schenken und um Vergebung bitten für alles, was es in der Vergangenheit verbrochen hat.
    »Ach je.«
    »Was ist? Sag bloß, das stimmt nicht.«
    »Doch. Aber du kennst Spanien nicht.«
    »Du wirst schon sehen.« Und begeistert fuhr er fort: »Ah, und ich habe noch eine Überraschung zu verkünden.«
    »Du bist schwanger.«
    »Nein, im Ernst. Du wirst schon sehen. Wart mal ab.«
    Dann legte er auf, denn ein Anruf nach Deutschland kostete ein Vermögen, und bei dem Gedanken, dass Franco tot war, die Bestie, der Wolf, der Wurm, und mit ihm all seinGift, hatte er ihn in seinem Überschwang von einer Kabine aus angerufen. Es gibt eben Augenblicke, da auch anständige Menschen sich darüber freuen können, wenn jemand stirbt.
    Bernat hatte ihn nicht belogen: Außer der Nachricht vom Tod des Diktators, mit dem am nächsten Tag alle Zeitungen titelten, erhielt er nach fünf Tagen einen Eilbrief, in dem stand: Lieber Schlaumeier: Erinnerst du dich noch an dein »Der Text ist furchtbar. Grauenhaft. Er hat keine Seele; ich fand kein einziges Gefühl glaubhaft geschildert. Ich kann dir nicht sagen, warum, aber es hat mir überhaupt nicht gefallen. Ich weiß nicht, wer Amadeu ist; aber was noch schlimmer

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