Das Schweigen des Sammlers
sich um. Hinten im Laden polierte eine junge Frau, die er nicht kannte, geduldig irgendwelche kupfernen Ausstellungsstücke.
»Er ist noch nicht da«, sagte sie. Sie nahm seine Hand, zog ihn zu sich heran und konnte, wie Lola Xica, nicht widerstehen, ihm übers Haar zu streichen. »Du wirst kahl.«
»Ja.«
»Und du siehst deinem Vater von Tag zu Tag ähnlicher.«
»Ehrlich?«
»Hast du eine Freundin?«
»Pfff.«
Sie zog eine Schublade auf und schloss sie wieder. Schweigen. Vielleicht überlegte sie, ob sie ihm diese Frage hätte stellen dürfen.
»Warum stöberst du nicht ein bisschen herum?«
»Darf ich?«
»Du bist der Besitzer«, sagte sie und breitete die Arme aus. Einen Augenblick lang hatte Adrià den Eindruck, dass sie sich ihm darbot.
Ich machte meinen letzten Gang durch das Universum des Ladens. Die Stücke hatten gewechselt, doch die Atmosphäre und der Geruch waren unverändert. Er sah seinen Vater vor sich, wie er in Papieren blätterte, Senyor Berenguer, wie er auf die Eingangstür starrte und große Pläne schmiedete, eine jüngere, sorgfältig frisierte und geschminkte Cecília, wie sie einen Kunden anlächelte, der ohne triftige Argumente einen wunderbaren Chippendale-Sekretär herunterzuhandeln versuchte, wieder den Vater, wie er Senyor Berenguer ins Büro zitierte, sich mit ihm einschloss und lange mit ihm sprach, wer weiß worüber, na ja, inzwischen weiß ich es. Dann kehrte ich zu Cecília zurück, die gerade telefonierte. Als sie auflegte, fragte ich: »Wann gehst du in Rente?«
»Zu Weihnachten. Du wirst den Laden nicht übernehmen, nicht wahr?«
»Ich weiß noch nicht«, log ich. »Immerhin habe ich eine Stelle an der Uni.«
»Das ist nicht unvereinbar.«
Mir schien, als wolle sie mir etwas sagen, aber in diesem Moment kam der Verwalter herein, bat um Entschuldigung für die Verspätung, grüßte Cecília und winkte mich ins Büro, alles zugleich. Wir schlossen die Tür, und der Verwalter erklärte mir, wie die Dinge standen und wie viel der Laden aktuell wert war. Und auch wenn du mich nicht um meine Meinung fragst, muss ich dir sagen, dass es ein einträgliches und zukunftsträchtiges Geschäft ist.
»Das einzige Hemmnis war Senyor Berenguer, und das hast du ja selbst aus dem Weg geräumt.« Er lehnte sich im Stuhl zurück, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen: »Ein einträgliches, zukunftsträchtiges Geschäft.«
»Ich will es verkaufen. Ich will kein Krämer sein.«
»Was ist so schlimm daran?«
»Senyor Sagrera …«
»Du entscheidest. Ist das dein letztes Wort?«
Was weiß ich, ob das mein letztes Wort ist. Was weiß ich, was ich machen will.
»Ja, Senyor Sagrera, das ist mein letztes Wort.«
Da stand Senyor Sagrera auf, ging zum Tresor und öffnete ihn. Es überraschte mich, dass er einen Tresorschlüssel hatte und ich nicht. Er nahm einen Umschlag heraus.
»Von deiner Mutter.«
»Für mich?«
»Sie hat mir gesagt, ich solle ihn dir geben, wenn du in den Laden kämst.«
»Aber ich will nicht …«
»Wenn du in den Laden kämst; nicht wenn du dich entschließen würdest, ihn zu übernehmen.«
Es war ein verschlossener Umschlag. Ich riss ihn vor Senyor Sagrera auf. Der Brief begann nicht mit den Worten, mein innig geliebter Sohn, er hatte überhaupt keine Anrede, und Mutter fragte auch nicht, wie es mir ging. Es war eine Liste mit praktischen Anweisungen und Ratschlägen, von denen ich verstand, dass sie mir bestens zupasskamen.
All meinen Vorsätzen zum Trotz nahm ich ein paar Tage oder Wochen später, das weiß ich nicht mehr, an einer heimlichen Versteigerung teil. Morral, der Buchhändler vom Mercat de Sant Antoni, hatte mir mit verschwörerischer Miene die Adresse zugesteckt. Die Geheimnistuerei wäre vielleicht gar nicht nötig gewesen, denn offensichtlich gab es keine Sicherheitsvorkehrungen. Man klingelte, die Tür ging auf, und man stand in einer Garage in einem Industriegebiet von l’Hospitalet. In einem Vitrinentisch, wie man sie in Juweliergeschäften findet, lagen, geschickt beleuchtet, die zu versteigernden Objekte. Kaum hatte ich sie in Augenschein genommen, da spürte ich, wie mich das Kribbeln überkam und mir der Schweiß ausbrach, wie seither immer, wenn ichkurz davor bin, etwas zu erwerben. Dazu der fade Geschmack im Mund. So muss sich ein Spieler vor dem Glücksspielautomaten fühlen. Einen Großteil der Dinge, von denen ich dir immer erzählt habe, sie stammten von meinem Vater, habe in Wirklichkeit ich gekauft. Die
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