Das Schweigen des Sammlers
anderes.«
Hätte ich dich bloß nicht gefragt, ob du mit nach Rom kommen willst, Laura.
»Bravo. Und was heißt das?«
»Dass der Preis mit jedem Tag steigt.«
Mach die Sache nicht noch komplizierter.
»Und?«
»Der Preis, den Sie aushandeln, ist das eine.« Laura würdigte mich keines Blickes, sie tat, als wäre ich Luft. Und während ich noch dachte, jetzt halt verdammt noch mal endlich die Klappe und versau es nicht, fuhr sie fort: »Aber ganz gleich, auf welchen Preis Sie sich einigen, er wird niemals auch nur annähernd dem wirklichen Wert entsprechen.«
»Nur so aus Neugier: Ich wüsste schrecklich gern, was der Laden wirklich wert ist, Frau Rechtsanwältin.«
Ich auch, Laura. Aber treib’s nicht zu weit, ja?
»Das weiß niemand. Der offizielle Preis beträgt so und so viele Peseten. Um den wahren Wert zu ermessen, muss man die historische Bedeutung hinzurechnen.«
Stille. Als müssten wir diese weisen Worte verdauen. Laura schob sich die Haare aus der Stirn hinter die Ohren und sagte mit einer Selbstgewissheit, die ich an ihr nicht kannte, wobei sie sich zu Daniela hinüberbeugte, wir reden ja nicht von Äpfeln und Bananen, Signora Amato.
Wieder schwiegen alle. Ich wusste, dass Tito hinter der Tür stand, weil ein Schatten mit buschigen Augenbrauen ihn verriet, und stellte mir vor, dass er von der gleichen Sammelleidenschaft besessen war wie mein Vater, später meine Mutter und jetzt ich und Daniela … Der Familienwahnsinn. Die Stille war so dicht, dass ich das Gefühl hatte, wir alle versuchten, die historische Bedeutung abzuschätzen.
»Einverstanden. Meine Anwälte regeln den Rest«, entschied Daniela schließlich aufseufzend. Dann sah sie Laura an und sagte spöttisch, über die Millionen Lire, die die historische Bedeutung wert ist, Frau Rechtsanwältin, sprechen wir ein anderes Mal, wenn uns der Sinn danach steht.
Sie wechselten kein Wort, bis sie einander gegenübersaßen, eine geschlagene Dreiviertelstunde schwer abschätzbaren Schweigens, weil diese blonde junge Frau mit dem blauen Blick ihn völlig aus der Fassung gebracht hatte. Nachdem sie sich gesetzt, bestellt und – ebenfalls schweigend – auf den ersten Gang gewartet hatten, nahm Laura einen Knäuel Spaghetti auf die Gabel, der sich sofort wieder auflöste.
»Du bist ein Mistkerl«, sagte sie und beugte sich über den Teller, um die schier endlose übrig gebliebene Nudel aufzuschlürfen.
»Ich?«
»Ja, ich rede mit dir.«
»Warum?«
»Ich bin nicht deine Rechtsanwältin, und du brauchst auch keine.« Sie legte die Gabel auf den Teller. »Übrigens: Ich glaube, verstanden zu haben, dass ihr Antiquitäten verkauft.«
»Aha.«
»Warum hast du mir das nicht vorher erzählt?«
»Du hättest den Mund halten sollen.«
»Niemand hat sich die Mühe gemacht, mir eine Gebrauchsanweisung für diese Reise auszuhändigen.«
»Entschuldige, das war meine Schuld.«
»Ja.«
»Aber du hast das prima gemacht.«
»Nun ja, eigentlich wollte ich dir alles verderben und dann abhauen, weil du ein Mistkerl bist.«
»Da hast du recht.«
Laura erwischte eine andere Spaghetti, und anstatt mich für das zu schämen, was sie mir vorgehalten hatte, dachte ich bloß, dass sie den Teller nie leer bekäme, wenn sie so weitermachte. Um das Versäumnis nachzuholen, erklärte ich ihr: »Meine Mutter hat mir genaue Anweisungen für den Verkauf des Ladens an Daniela erteilt. Sie hat mir sogar aufgeschrieben, wie ich sie ansehen und mich bewegen solle.«
»Du hast also Theater gespielt?«
»Gewissermaßen. Aber du hast mir die Schau gestohlen.«
Beide starrten auf ihre Teller, bis Adrià plötzlich die Gabel fallen ließ, sich die Serviette vor den vollen Mund hielt und losprustete: »Der Wert der historischen Bedeutung!«
Während des Abendessens schwiegen sie größtenteils und vermieden, einander in die Augen zu sehen.
»Deine Mutter hat dir also eine Handlungsanweisung geschrieben.«
»Ja.«
»Und du hast sie befolgt.«
»Ja.«
»Ich fand dich so … ich weiß auch nicht wie … so anders.«
»Anders als was?«
»Anders als sonst.«
»Und wie bin ich sonst?«
»Abwesend. Du bist immer ganz woanders.«
Schweigend vertilgten sie die Oliven und warteten auf das Dessert, ohne zu wissen, was sie sagen sollten. Bis Adrià sagte, ich wusste gar nicht, dass sie so hellsichtig war.
»Wer?«
»Meine Mutter.«
Laura legte die Gabel auf den Teller und sah ihm in die Augen.
»Weißt du, dass ich mich benutzt gefühlt habe?«, fragte sie
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