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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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beherrscht von selbstmörderischen Taxifahrern wie dem, der uns in Rekordzeit vom Hotel zur belebten Via del Corso brachte. Das Obstgeschäft Amato war eine wahre Augenweide: Kisten mit frischem, geschickt präsentiertem Obst, nach dem die Passanten sich umsahen. Ein stoppelbärtiger Mann, der gerade eine anspruchsvolle Kundin bediente, gab Adrià auf seine Frage hin ein Kärtchen mit einer Adresse und zeigte zur Piazza del Popolo hinauf.
    »Darf man erfahren, was wir hier machen?«
    »Das wirst du gleich erfahren.«
    »Nun gut: Ich wüsste gern, was ich hier mache.«
    »Du begleitest mich.«
    »Warum?«
    »Weil ich Angst habe.«
    »Na toll.« Sie musste rennen, um mit Adriàs langen Schritten mithalten zu können. »Dann solltest du mir vielleicht erklären, worum es hier geht, oder?«
    »Sieh mal, wir sind schon da.«
    Es war nur drei Häuser weiter. Er klingelte, und gleich darauf wurde die Tür geöffnet, als erwarte man sie bereits. Oben empfing uns in der offenen Wohnungstür mein Engel, der nicht mehr mein Engel war, mit einem kühlen Lächeln. Adrià küsste sie, zeigte auf sie und erklärte Laura: »Meine Halbschwester, Signora Daniela Amato.«
    Dann wies ich auf Laura und sagte zu Daniela: »Meine Rechtsanwältin.«
    Laura reagierte gut, nein, tadellos: Sie zuckte nicht mit der Wimper. Die beiden Frauen musterten einander einen Augenblick in einem stummen Kräftemessen. Dann führte uns Daniela in ein adrettes Wohnzimmer, in dem eine Sheraton-Kommode stand, von der ich sicher war, dass ich sie im Laden gesehen hatte. Auf der Kommode stand ein Foto von Vater als junger Mann und einer attraktiven jungen Frau mit durchdringendem Blick und zarter Haut, die Daniela ähnlich sah. Das musste die legendäre Carolina Amato sein, Vaters römische Liebe. Es war merkwürdig, nun der gut fünfzigjährigen Tochter dieser jungen Frau gegenüberzusitzen, auch wenn meine Halbschwester trotz der unübersehbaren Falten immer noch eine schöne, elegante Frau war. Bevor wir ins Gespräch kamen, brachte ein sommersprossiger Jugendlicher mit buschigen Augenbrauen ein Tablett mit Kaffee herein.
    »Mein Sohn Tito«, stellte ihn Daniela vor.
    »Piacere di conoscerti«, begrüßte ich ihn und gab ihm die Hand.
    »Mach dir keine Umstände«, antwortete er auf Katalanisch, während er das Tablett vorsichtig auf dem Couchtisch abstellte. »Mein Vater kommt aus Vilafranca.«
    Laura begann, mir mörderische Blicke zuzuwerfen; offenbar fand sie, es sei nun wirklich zu viel verlangt, dass sie da sitzen und in der Rolle der Rechtsanwältin mit dem italienischen Zweig meiner Familie plaudern sollte, der sie nicht die Bohne interessierte. Ich lächelte sie an und legte meine Hand auf die ihre, um sie zu beruhigen; und das gelang mir, wie es mir nie wieder mit jemandem gelungen ist. Arme Laura: Ich glaube, ich schulde ihr tausend Erklärungen, und fürchte, dazu ist es schon zu spät.
    Der Kaffee war vorzüglich, und die Bedingungen für den Verkauf des Ladens waren es ebenfalls. Laura zog es vor zu schweigen; ich nannte den Preis, Daniela blickte ein paar Mal zu Laura hinüber und sah, dass diese – sehr professionell – verstohlen den Kopf schüttelte. Trotzdem versuchte sie noch zu feilschen: »Ich bin mit dem Angebot nicht einverstanden.«
    »Verzeihen Sie«, schaltete sich Laura ein, und ich sah sie überrascht an. Mit müder Stimme sagte sie: »Das ist das einzige Angebot, das Senyor Ardèvol zu unterbreiten beabsichtigt.«
    Sie sah auf die Uhr, als hätte sie es sehr eilig, und schwieg mit ernster Miene. Adrià brauchte ein paar Sekunden, bis er sich gefangen hatte, dann fügte er hinzu, überdies behalte ich mir das Recht vor, mir ein paar Stücke aus dem Laden auszusuchen, bevor du ihn übernimmst. Daniela las die Liste, die ich ihr überreichte, aufmerksam durch, und ich sah zu Laura hinüber und zwinkerte ihr zu, worauf sie, ganz in ihre Rolle als Rechtsanwältin vertieft, gar nicht reagierte.
    Daniela hob den Kopf. »Und der Urgell, der bei euch zu Hause hängt?«
    »Der ist ein Familienerbstück, er gehört nicht zum Laden.«
    »Und die Geige?«
    »Ebenfalls; das ist alles dokumentiert.«
    Laura hob die Hand, wie um das Wort zu erbitten, und sagte mit sorgfältig einstudierter Müdigkeit, wobei sie Daniela ansah, Sie wissen ja, dass wir hier von einem Laden mit unschätzbaren Werten reden.
    Ach, Laura.
    »Was?«, fragte Daniela.
    Halt lieber den Mund.
    »Ich meine, das Objekt ist das eine, und sein Wert ist etwas ganz

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