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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Herzensangelegenheiten einmal abgesehen –, als stünde mir der Himmel offen. Jedenfalls, solange mir kein verlockendes Manuskript in die Quere kam.

29
    Seiner unnahbaren Mutter hatte Adrià es zu verdanken, dass er ein freier Mann war. Sie hatte seine Unfähigkeit in praktischen Angelegenheiten vorhergesehen und noch im Tod über den Sohn gewacht, wie ich es von allen Mütter der Welt erwartet hätte außer der meinen. Allein der Gedanke daran stimmt mich ganz weich, und ich denke, dass Mutter mich vielleicht in irgendeinem Augenblick doch geliebt hat. Inzwischen weiß ich sicher, dass Vater mich in irgendeinem Moment einmal bewundert hat, aber ich bin mir sicher, dass er mich nie geliebt hat. Ich war ein Objekt in seiner großartigen Sammlung. Und dieses Objekt war bei seiner Rückkehr aus Rom fest entschlossen, zu Hause Ordnung zu schaffen, denn es lebte nun schon zu lange zwischen den ungeöffneten Bücherkisten, die es aus Deutschland mitgebracht hatte. Also betätigte er den Lichtschalter, und es ward Licht. Und er rief Bernat zu Hilfe, und gemeinsam beschlossen sie, im Arbeitszimmer die Manuskripte aufzubewahren, dazu die Wiegendrucke, die er zukünftig erwerben würde, die empfindlichen Objekte, die Bücher seiner Eltern, die Schallplatten, die Noten und die am häufigsten gebrauchten Wörterbücher, und so schieden sie das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste, und es entstand das Firmament mit seinen Wolken und war von den Wassern des Meeres geschieden. Im Schlafzimmer der Eltern, das nun seines war, fanden die Lyrik und die Bücher über Musik Platz; und er sammelte das Wasser unter dem Himmel an besondere Örter, dass man das Trockene sehe, und nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser nannte er Meer. In seinem Kinderzimmer neben Sheriff Carson und dem tapferen Schwarzen Adler, die auf dem Nachttisch unermüdlich Wache hielten, räumte er, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, alle Bücher aus den Regalen, die ihm in seiner Kindheit Gesellschaft geleistet hatten, und stellte die Geschichtsbücher hinein, vom Beginn der Geschichtsschreibung bis heute. Und die Geographiebücher. Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das sich besamte, ein jegliches nach seiner Art, und Bäume, die da Frucht trugen.
    »Was sind denn das für Cowboys?«
    »Rühr sie nicht an!«
    Er wagte nicht, Bernat zu sagen, dass sie da bleiben mussten, dass ihm alles andere ungerecht erschienen wäre. Und so sagte er bloß, das ist nichts, die werfe ich später weg.
    »Howgh.«
    »Was.«
    »Du schämst dich unserer.«
    »Ich bin beschäftigt.«
    Ich hörte, wie der Sheriff hinter dem Arapaho-Häuptling verächtlich auf den Boden spuckte, und sagte lieber nichts.
    Die drei langen Korridore der Wohnung, für die er beim Schreiner Planas endlose Regalreihen in Auftrag gab, waren der Belletristik gewidmet. Sie wurde nach Sprachen geordnet: Im Flur zum Schlafzimmer romanische Sprachen, im Flur hinter dem Eingang slawische und nordische Sprachen, im breiten Flur ganz hinten die deutsche und angelsächsische Literatur.
    »Wie kannst du bloß so eine teuflische Sprache lesen?«, fragte mich Bernat plötzlich, in der Hand Пешчани von Danilo Kiš.
    »Mit Geduld. Wenn man Russisch kann, ist Serbisch halb so wild.«
    »Wenn man Russisch kann …«, brummelte Bernat beleidigt. Er stellte das Buch an seinen Platz zurück und knurrte: »Dann ist das ja keine Leistung.«
    »Ins Esszimmer stellen wir die Essays und Literatur- und Kunsttheorie.«
    »Entweder musst du die Kristallgläser entsorgen oder die Anrichte.« Er zeigte auf die Wände, sagte aber nichts zu dem weißen Fleck über der Anrichte. Adrià senkte den Blick und sagte, die gesamten Kristallgläser überlasse ich dem Laden.Die sollen sie verkaufen und damit glücklich werden. Dadurch gewinne ich gut drei Wände hinzu. Und er erschuf große Walfische und allerlei Getier, das da lebt und webt, davon das Wasser sich erregte, ein jegliches nach seiner Art. Und die Leere, die nach dem Verschwinden von Urgells Kloster von Santa Maria de Gerri zurückgeblieben war, füllte sich mit Berlin, Steiner, Eco, Benjamin, Canetti, Fuster, Calvino, Todorov, Magris und anderen Freuden.
    »Wie viele Sprachen sprichst du eigentlich?«
    »Ich weiß es nicht. Es ist auch egal. Wenn man ein paar beherrscht, kann man immer mehr lesen, als man denkt.«
    »Ja, klar, genau das wollte ich auch gerade sagen«, entgegnete Bernat ein wenig eingeschnappt. Er schwieg eine

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