Das Schweigen des Sammlers
wird, weil er Pater Luwowski übertrumpfen muss.
»Levinski.«
»Das Monstrum Levinski.«
»Ein großer Theologe und Bibelexperte. Ein Monstrum der Gelehrsamkeit.«
»Nein. Das müssen wir in Ruhe besprechen.«
Das verstand ich nicht. Genau das taten sie doch gerade, in Ruhe meine Zukunft besprechen. Und ich war völlig entspannt, weil die bbeschissene Existenz nicht zur Sprache kam.
»Katalanisch, Spanisch, Französisch, Deutsch, Italienisch, Englisch, Latein, Griechisch, Aramäisch und Russisch.«
»Was ist das?«
»Die zehn Sprachen, die er lernen muss. Die ersten drei kann er schon.«
»Nein, Französisch erfindet er.«
»Aber er kommt zurecht, er kann sich verständlich machen. Mein Sohn kann alles, was er sich vornimmt. Und für Sprachen hat er eine besondere Begabung. Zehn wird er lernen.«
»Er muss auch spielen dürfen.«
»Er ist alt genug. Bis er auf die Universität kommt, muss er sie können.« Und mit einem müden Seufzer fuhr er fort: »Lass uns ein andermal darüber reden, ja?«
»Er ist erst sieben, um Himmels willen!«
»Ich erwarte ja nicht, dass er gleich Aramäisch lernt.« Vater trommelte zum Abschluss mit den Fingern auf den Tisch: »Er wird mit Deutsch anfangen.«
Auch das gefiel mir, denn mit der Britannica kam ich schon beinahe allein klar, und mit einem Wörterbuch daneben, no problem. Beim Deutschen dagegen tappte ich noch völlig im Dunkeln. Ich freute mich auf die Welt der Deklination, die Welt der Sprachen, in denen die Wörter je nach ihrer Funktion im Satz andere Endungen haben. Das habe ich nicht wörtlich so gedacht, aber fast. Ich war ein grässlicher Klugscheißer.
»Nein, Fèlix. Diesen Fehler dürfen wir nicht machen.«
Ich hörte das leise Geräusch eines trockenen Ausspuckens.
»Ja?«
»Was ist Aramäisch?«, fragte mit tiefer Stimme Sheriff Carson.
»Ich weiß es nicht genau, das müssen wir herausfinden.«
Ich war wirklich ein seltsames Kind, das gebe ich zu. Rückblickend sehe ich mich an der Wand horchen, Sheriff Carson und den tapferen Arapaho-Häuptling umklammernund aufpassen, dass ich mich nicht verriet, während ich erfuhr, welche Zukunft mir bevorstand, und ich denke, ich war nicht nur seltsam, sondern höchst seltsam.
»Das ist kein Fehler. Sobald die Schule wieder anfängt, kommt ein Lehrer ins Haus, den ich schon im Auge habe, und wird dem Jungen Deutsch beibringen.«
»Nein.«
»Er heißt Romeu und ist ein sehr fähiger junger Mann.«
Das gefiel mir nicht so recht. Ein Hauslehrer? Mein Zuhause war mein Zuhause, und ich war derjenige, der alles wusste, was dort vor sich ging. Ich wollte keine ungebetenen Zeugen. Nein, es behagte mir nicht, dass ein gewisser Romeu seine Nase in meine Wohnung stecken und sagen würde, oh, wie schön, mit sieben Jahren schon eine eigene Bibliothek und ähnlichen Blödsinn, wie ihn alle Erwachsenen sagen, die zu uns kommen. Auf gar keinen Fall.
»Und er wird drei Fächer studieren.«
»Was?«
»Jura und Geschichte.« Schweigen. »Und das dritte kann er sich aussuchen. Vor allem aber Jura, das ist das Nützlichste, um in dieser Rattenwelt zurechtzukommen.«
Tock, tock, tock, tock, tock, tock. Mein Fuß begann, sich von selbst zu bewegen, tock, tock, tock, tock, tock. Ich hasste Jura. Ihr ahnt nicht, wie sehr. Ohne zu wissen, was das eigentlich war, hasste ich es wie die Pest.
»Je n’en doute pas«, disait ma mère. »Mais est-ce qu’il est un bon pédagogue, le tel Romeu?«
»Bien sûr, j’ai reçu des informations confidentielles qui montrent qu’il est un individu parfaitement capable en langue allemagne. Allemande? Tedesque? Et en la pédagogie de cette langue. Je crois que …«
Und schon beruhigte ich mich und konnte den Fuß wieder stillhalten. Ich hörte meine Mutter aufstehen und sagen: »Und was ist mit dem Geigenunterricht? Muss er den aufgeben?«
»Nein. Aber der ist zweitrangig.«
»Da bin ich anderer Meinung.«
»Gute Nacht, meine Liebe«, sagte Vater, schlug die Zeitung auf und begann zu blättern, wie immer um diese Uhrzeit.
Ich kam also auf eine andere Schule. So ein Mist. Und was für eine Angst ich hatte. Zum Glück würden mich Sheriff Carson und Schwarzer Adler begleiten. Die Geige zweitrangig? Und wieso das Aramäische erst so spät? In dieser Nacht schlief ich lange nicht ein.
Sicherlich werfe ich einiges durcheinander. Ich weiß nicht, ob ich sieben, acht oder neun Jahre alt war. Aber ich war sprachbegabt, und das hatten meine Eltern erkannt und ließen mir keine Ruhe
Weitere Kostenlose Bücher