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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Hause führte, waren meine Fähigkeiten,mich zu tarnen und praktisch allgegenwärtig zu sein, bestens entwickelt.
    »Hier bist du!« Mutter kam auf den Balkon, von wo ich den Autos zusah, die schon nach und nach das Licht einschalteten, denn in meiner Erinnerung war das Leben zu jener Zeit eine ewige Abenddämmerung. »Hast du mich nicht gehört?«
    »Was?« In einer Hand hielt ich den Sheriff und das braune Pferd und tat, als fiele ich aus allen Wolken.
    »Du musst deinen Schulkittel anprobieren. Wieso hast du mich denn nicht gehört?«
    »Den Kittel?«
    »Senyora Angeleta hat die Ärmel erneuert.« Mit herrischer Geste: »Mach schon!«
    In der Nähstube prüfte Senyora Angeleta, eine Nadel zwischen den Lippen, mit fachmännischem Blick den Sitz der neuen Ärmel.
    »Du wächst zu schnell, Kleiner.«
    Mutter war in der Diele, um Senyor Berenguer zu verabschieden, und Lola Xica kam herein, um die frisch gebügelten Hemden zu holen, während ich, wie so oft im Lauf meiner Kindheit, in den ärmellosen Kittel schlüpfte.
    »Und du wetzt die Ellbogen zu schnell ab«, sagte Senyora Angeleta, die damals schon an die tausend Jahre alt gewesen sein muss.
    Die Wohnungstür fiel ins Schloss. Vaters Schritte entfernten sich in Richtung Arbeitszimmer, und Senyora Angeleta schüttelte das schneeweiße Haupt.
    »Er bekommt viel Besuch in letzter Zeit.«
    Lola Xica schwieg und tat, als hätte sie sie nicht gehört. Senyora Angeleta befestigte mit ihren Stecknadeln den Ärmel am Kittel, während sie noch hinzusetzte: »Und manchmal brüllen sie sich an.«
    Lola Xica nahm die Hemden, ohne auf Senyora Angeleta einzugehen. Die ließ nicht locker: »Wer weiß, worum es da geht …«
    »Um die bbeschissene Existenz«, sagte ich, ohne nachzudenken.
    Lola Xica ließ die Hemden fallen, Senyora Angeleta piekte mir die Nadel in den Arm, und Schwarzer Adler legte sich flach auf den Boden und spähte mit fast geschlossenen Augen über den verdorrten Horizont. Er sah die Staubwolke als Erster. Sogar noch vor Flinkes Kaninchen.
    »Es nähern sich drei Reiter«, sagte er. Niemand antwortete. In ihrem Unterschlupf waren sie vor der gnadenlosen Hitze jenes Sommers halbwegs geschützt; doch niemand, keine Squaw, kein Kind, zeigte das geringste Interesse an den Ankömmlingen oder ihren Absichten. Schwarzer Adler gab den anderen einen unmerklichen Wink. Drei Krieger machten sich auf den Weg zu ihren Pferden. Er folgte ihnen, ohne die Staubwolke aus den Augen zu lassen. Sie kam schnurstracks auf das Lager zu. Wie ein Vogel, der ein Raubtier ablenkt und es mit List und Tücke von seinem Nest weglockt, wandten er und seine drei Männer sich nach Westen, um die Reiter abzulenken. Die beiden Gruppen trafen sich bei den fünf Steineichen. Die Besucher waren drei weiße Männer, ein hellblonder und zwei ziemlich dunkelhäutige. Einer davon, der mit dem riesigen Schnauzbart, sprang mit steif abgespreizten Armen geschickt vom Pferd und lächelte.
    »Du bist Schwarzer Adler«, sagte er, ohne zum Zeichen der Unterwerfung die Hände an den Körper zu legen.
    Der große Häuptling der Arapaho der Südlichen Gefilde am Ufer des Washita-Flusses vom Gelben Fisch saß reglos auf seinem Pferd und nickte kaum merklich, dann fragte er, mit wem er die Ehre habe, und der mit dem schwarzen Schnurrbart lächelte wieder und sagte mit einer witzigen halben Verbeugung, ich bin Sheriff Carson aus Rockland, zwei Tagesritte von eurem Gebiet.
    »Ich weiß, wo ihr euer Dorf Rockland gebaut habt«, erwiderte der legendäre Häuptling kurz angebunden. »Auf dem Land der Pawnees.« Und er spuckte als Ausdruck seiner Verachtung auf den Boden.
    »Das sind meine Gehilfen«, sagte Carson, der nicht wusste, wem das Ausspucken eigentlich gelten sollte. »Wir sind auf der Suche nach einem entflohenen Verbrecher.« Nun spuckte er seinerseits auf den Boden und fand es ganz interessant.
    »Was hat er getan, dass man ihn einen Verbrecher nennt?«, fragte der Arapaho-Häuptling.
    »Kennst du ihn? Hast du ihn gesehen?«
    »Ich habe gefragt, was er getan hat, dass man ihn einen Verbrecher nennt.«
    »Er hat eine Stute getötet.«
    »Und zwei Frauen geschändet«, ergänzte der Blonde.
    »Ja, das auch«, nickte Sheriff Carson.
    »Und warum sucht ihr ihn hier?«
    »Er ist Arapaho.«
    »Das Land meines Volkes erstreckt sich viele Tagesreisen nach Westen, nach Osten, in die Kälte und in die Hitze. Warum bist du ausgerechnet hierher gekommen?«
    »Du weißt, um wen es geht. Wir wollen, dass du ihn der

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