Das Schweigen des Sammlers
Justiz überstellst.«
»Du irrst dich, Sheriff Carson. Dein Mörder ist kein Arapaho.«
»Ach nein? Und woher willst du das wissen?«
»Ein Arapaho würde niemals eine Stute töten.«
Da ging das Licht an, und Lola Xica winkte ihn aus der Vorratskammer. Vor Adrià stand die Mutter in voller Kriegsbemalung, ohne ihn anzusehen, ohne auf den Boden zu spucken, und sagte, Lola, sorg dafür, dass er sich gründlich den Mund auswäscht. Mit Wasser und Seife. Und wenn nötig, tu einen Schuss Chlorlauge dazu.
Schwarzer Adler ertrug die Tortur ohne einen einzigen Klagelaut. Als Lola Xica fertig war, trocknete er sich mit dem Handtuch ab, sah ihr in die Augen und sagte, Lola Xica, weißt du, was das genau heißt, eine Frau schänden?
Als ich sieben oder acht war, dachte ich, ich träfe die Entscheidungen über mein Leben. Eine sehr weise Entscheidung war es, meine Erziehung Mutter zu überlassen. Aber so funktionierte das anscheinend nicht. Das begriff ich an diesem Abend, weil ich wissen wollte, wie Vater auf meine Unbesonnenheit reagieren würde, und darum meine Überwachungsanlage im Esszimmer installiert hatte, was nicht schwer war, da mein Zimmer Wand an Wand mit dem Esszimmer lag. Offiziell war ich früh schlafen gegangen, und so hatte Vater mich bei seiner Rückkehr nicht mehr gesehen. Auf diese Weise ersparte ich mir eine Predigt voll gefährlicher Fallstricke, denn falls mir aus purer Notwehr herausgerutscht wäre, dass ich das mit der bbeschisssenen Existenz von ihm hatte, wäre das Thema nicht mehr ich wasch dir dein dreckiges Maul mit Kernseife gewesen, sondern woher zum Teufel weißt du, dass ich bbeschissene Existenz gesagt habe, du frecher Lügner? Sag schon! Hast du etwa gelauscht? Unter gar keinen Umständen durfte ich meine Spitzeltätigkeit offenbaren, denn dank dieses Tricks war ich der einzige Bewohner des Hauses, der über jeden Winkel, jedes Gespräch, alle Reibereien und rätselhaften Tränenausbrüche Bescheid wusste, wie damals, als Lola Xica eine Woche lang ununterbrochen weinte, ihren offenbar riesigen Kummer aber geschickt überspielte, sobald sie ihr Zimmer verließ. Es dauerte viele Jahre, bis ich erfuhr, warum sie geweint hatte, aber erst einmal lernte ich, dass es Kummer gab, der eine ganze Woche anhalten konnte, und ich bekam ein wenig Angst vor dem Leben.
Jedenfalls belauschte ich das Gespräch meiner Eltern, das Ohr an den Boden eines Glases gelegt, das ich an die Wand drückte. Da Vater müde klang, fasste ihm Mutter die Ereignisse mit der Bemerkung zusammen, es sei eine Last mit mir, und Vater, der keine Einzelheiten über diese Last hören wollte, sagte, es sei schon entschieden.
»Was ist entschieden?« Mutter klang erschrocken.
»Ich habe ihn bei den Jesuiten im Carrer de Casp angemeldet.«
»Aber Fèlix …, er …«
An diesem Tag erkannte ich, dass bei uns mein Vater allein bestimmte. Dass meine Erziehung ausschließlich von ihm abhing. Und im Geist notierte ich mir, dass ich in der Britannica nachschlagen musste, was es mit diesen Jesuiten auf sich hatte. Vater hielt schweigend dem Blick meiner Mutter stand, undsie fasste sich ein Herz: »Warum bei den Jesuiten? Du bist kein gläubiger Christ und …«
»Hochwertige Schulbildung. Wir müssen auf Leistung bedacht sein. Wir haben nur dieses eine Kind und dürfen es mit ihm nicht vermasseln.«
Moment: Ja, sie hatten nur ein Kind. Oder auch nicht; aber das tut nichts zur Sache. Klar war, dass sie es mit mir nicht vermasseln wollten. Darum fing Vater jetzt mit den Sprachen an, was mir zugegebenermaßen gefiel.
»Was hast du gesagt?«
»Zehn Sprachen.«
»Unser Sohn ist kein Monstrum.«
»Aber die kann er lernen.«
»Und warum zehn?«
»Weil Pater Levinski von der Gregoriana neun konnte. Unser Sohn muss ihn übertrumpfen.«
»Aus welchem Grund?«
»Weil er mich vor der ganzen Klasse als Niete bezeichnet hat. Niete, weil mein Aramäisch nach einem Jahr Unterricht bei Faluba ziemlich mies war.«
»Mach keine Witze. Wir reden von der Erziehung unseres Sohnes.«
»Ich mache keine Witze. Ich rede von der Erziehung meines Sohnes.«
Ich weiß, dass Mutter es nicht leiden konnte, wenn er mich ihr gegenüber seinen Sohn nannte. Aber ich hatte den Eindruck, dass sie mit ihren Gedanken woanders war, denn sie setzte zum Widerspruch an und sagte, sie wolle kein Monstrum aus mir machen; und in einem Tonfall, den ich nicht an ihr kannte, sagte sie, hast du gehört? Ich will nicht, dass aus meinem Sohn ein Monstrum fürs Panoptikum
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