Das Schweigen des Sammlers
Übel muss man bei der Wurzel packen.«
So viel Unverschämtheit machte mich sprachlos, und so konnte er noch mal nachlegen: »Du darfst nur mit deiner Geige verheiratet sein.«
»Entschuldigung, Meister, aber das ist mein Leben.«
»Wie du meinst, du Klugscheißer. Aber ich warne dich: Du wirst das Geigespielen nicht aufgeben.«
Adrià schlug den Geigenkasten lauter zu als nötig. Dann richtete er sich auf und sah dem Genie ins Gesicht. Inzwischen war er eine halbe Handbreit größer als er.
»Ich höre auf mit dem Geigespielen, Maestro Manlleu, ob es Ihnen passt oder nicht. Und meiner Mutter sage ich es noch heute.«
»Ah! Du warst also so freundlich, es mir vorher mitzuteilen.«
»Ja.«
»Du wirst weiter Geige spielen. In ein paar Monaten wirst du auf Knien angerutscht kommen, und dann werde ich dir sagen, tut mir schrecklich leid, Junge: Mein Stundenplan ist voll. Und dann wirst du abziehen müssen.« Er sah ihn zornsprühend an. »Wolltest du nicht gehen?«
»Und dann ist er schnurstracks zu deiner Mutter gerannt und hat ihr erzählt, dass ein Mädchen im Spiel war, und Carme hat sich in den Kopf gesetzt, Sara sei an allem schuld, und hat sie zu ihrer Feindin erklärt.«
»Mein Gott.«
»Und das wegen Dingen, die … Was ich dir von der Familie Epstein erzählt habe, die …«
»Mein Gott.«
»Ich habe sie gebeten, es nicht zu tun, aber sie hat Saras Mutter einen Brief geschrieben.«
»Was stand drin? Hast du ihn gelesen?«
»Sie hat Dinge erfunden; hässliche Dinge über dich, nehme ich an.« Wieder schwieg sie lange, vertieft in die Betrachtung der Tischdecke. »Ich habe ihn nicht gelesen.«
Sie warf Adrià, der mit weit aufgerissenen, tränenfeuchten Augen fassungslos dasaß, einen raschen Blick zu und starrte dann wieder die Tischdecke an.
»Deine Mutter wollte, dass dieses Mädchen aus deinem Leben verschwand. Und aus dem Laden.«
»Dieses Mädchen heißt Sara.«
»Ja, verzeih, Sara.«
»Mein Gott.«
Das Kindergeschrei auf der Straße wurde nach und nach leiser. Draußen schwand das Licht. Nach einer Ewigkeit, als das Wohnzimmer schon im Halbdunkel lag, sah Adrià, der die ganze Zeit mit seiner Teetasse gespielt hatte, Lola Xica an.
»Warum hast du mir das damals nicht gesagt?«
»Aus Treue zu deiner Mutter. Adrià, Junge, es tut mir wirklich leid.«
Und mir tat es unendlich leid, dass ich Lola Xicas Wohnung tief gekränkt und fast ohne ein Wort des Abschieds verließ und ihr nicht sagte, Lola Xica, es tut mir leid, dass du krank bist. Ich gab ihr einen zu kühlen Kuss und habe sie niemals lebend wiedergesehen.
31
Achtes Arrondissement, rue Laborde 48. Ein eher trister Wohnblock mit rußgeschwärzter Fassade. Er klingelte, und die Tür öffnete sich mit einem dumpfen Laut. An den Briefkästen las er ab, dass er in den sechsten Stock hinauf musste, und beschloss, zu Fuß zu gehen, um die vor Panik aufgestaute Energie loszuwerden. Oben angekommen, wartete er zwei Minuten, bis Herz und Atem ruhiger gingen. Dann drückte er die Klingel, die geheimnisvoll bzsbzsbzsbzs wisperte. Auf dem Treppenabsatz war es ziemlich dunkel, und niemand öffnete. Da! Waren da nicht sachte Schritte zu hören? Die Tür ging auf.
»Hallo.«
Bei meinem Anblick fiel dir die Kinnlade herunter, und deine Miene versteinerte. Du ahnst nicht, wie sehr es mir zu Herzen ging, dich nach all den Jahren wiederzusehen, Sara. Du sahst älter aus; nicht gealtert, meine ich, sondern älter und noch genauso schön. Auf eine ruhigere Art schön. Und ich dachte, dass niemand das Recht hatte, uns unsere Jugend zu stehlen, wie sie es getan hatten. Hinter dir stand auf einer Konsole ein Strauß Blumen, sehr hübsch, aber von einer Farbe, die mir traurig erschien.
»Sara.«
Sie schwieg. Natürlich hatte sie mich erkannt, aber sie hatte mich nicht erwartet. Ich kam ungelegen, war nicht willkommen. Ich gehe ja schon, ich komme ein anderes Mal wieder, ich liebe dich, ich wollte bloß, ich will mit dir reden, über … Sara.
»Was willst du?«
Wie ein Lexikonvertreter, der weiß, dass er nur eine halbe Minute hat, um seinen Text loszuwerden, bevor ihm der skeptische Kunde die Tür vor der Nase zuschlägt, öffnete Adrià den Mund und ließ dreizehn kostbare Sekunden verstreichen,ehe er sagte, sie haben uns betrogen, sie haben dich betrogen, du bist weggelaufen, weil sie dir schreckliche Dinge über mich erzählt haben. Dinge, die nicht stimmten. Und schreckliche Dinge über meinen Vater. Dinge, die stimmten.
»Und was ist mit
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