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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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dem Brief, in dem du mir geschrieben hast, ich sei eine dreckige Jüdin und könne dir mitsamt meiner hochgestochenen Sippschaft den Buckel runterrutschen?«
    »Ich habe dir nie einen Brief geschrieben! Kennst du mich denn nicht?«
    »Nein.«
    Ein Lexikon ist ein nützliches Instrument für eine kulturell interessierte Familie wie die Ihre, gnädige Frau.
    »Sara. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass meine Mutter das alles eingefädelt hat.«
    »Herzlichen Glückwunsch. Wann war das noch mal?«
    »Vor vielen Jahren! Aber ich habe es erst vor fünf Tagen erfahren! Und so lange habe ich gebraucht, um dich ausfindig zu machen! Du warst doch verschwunden!«
    Ein solches Werk ist nützlich für jedermann, für Ihren Mann wie für Ihre Kinder. Haben Sie Kinder, gnädige Frau? Haben Sie einen Mann? Bist du verheiratet, Sara?
    »Ich dachte, du wärst verschwunden, weil du Probleme hattest, und niemand wollte mir sagen, wo du bist. Nicht einmal deine Eltern …«
    Praktischerweise zahlbar in zweiundzwanzig Raten. Und dabei verfügen Sie schon vom ersten Tag an über die zehn Bände.
    »Deine Familie hat meinen Vater gehasst, weil …«
    »Das weiß ich alles schon.«
    Sie können diesen Band behalten und ihn sich in Ruhe ansehen, gnädige Frau. Ich komme wieder, irgendwann, vielleicht nächstes Jahr, aber seien Sie mir bitte nicht böse.
    »Ich wusste nichts davon.«
    »Dieser Brief, den du mir geschrieben hast … Du hast ihn persönlich meiner Mutter gegeben.« Jetzt krampfte sich ihre Hand um die Klinke, als wolle sie mir jeden Augenblick die Tür ins Gesicht schlagen. »Feigling!«
    »Ich habe dir keinen Brief geschrieben! Das ist alles gelogen! Ich habe deiner Mutter nichts gegeben. Du hast ja nie gewollt, dass ich sie kennenlerne!«
    Ein letzter verzweifelter Ausfall vor dem Rückzug: Sagen Sie mir nicht, gnädige Frau, Sie wären nicht gebildet und weltoffen!
    »Zeig ihn mir! Kennst du denn meine Handschrift nicht? Hast du nicht gemerkt, dass sie dich getäuscht haben?«
    »Zeig ihn mir …«, äffte sie mich nach. »Ich habe ihn in kleine Fetzen zerrissen und verbrannt: Er war so voller Hass.«
    Was für eine mörderische Wut. Was mache ich bloß?
    »Unsere Mütter haben uns manipuliert.«
    »Mir geht es nur um das Wohl meines Sohnes und die Sicherung seiner Zukunft«, sagte Senyora Ardèvol.
    »Und mir um die Zukunft meiner Tochter«, gab Senyora Voltes-Epstein eisig zurück. »Ich habe nicht das geringste Interesse daran, dass sie Umgang mit Ihrem Sohn pflegt.« Sie lächelte dünn: »Allein zu wissen, wessen Sohn er ist, macht ihn mir schon unsympathisch.«
    »Dann ist ja alles gesagt: Können Sie Ihre Tochter für eine Weile von hier fortschaffen?«
    »Sie haben mir keine Vorschriften zu machen.«
    »Nun gut. Ich bitte Sie, diesen Brief meines Sohnes Ihrer Tochter zukommen zu lassen.«
    Sie gab ihr einen verschlossenen Umschlag. Einen Augenblick lang zögerte Rachel Epstein, dann nahm sie ihn.
    »Sie können ihn ruhig lesen.«
    »Sie haben mir nicht zu sagen, was ich tun soll.«
    Die beiden Frauen verabschiedeten sich kühl voneinander; sie hatten sich bestens verstanden. Und Senyora Voltes-Epstein öffnete den Brief, bevor sie ihn ihrer Tochter gab, natürlich tat sie das, Adrià.
    »Ich habe dir keinen Brief geschrieben …«
    Stille. Ich stand auf dem Treppenabsatz vor der Wohnung in der rue Laborde im achten Arrondissement. Eine Nachbarin mit einem lächerlichen Hündchen kam die Treppe herunter und winkte Sara müde zu. Die nickte geistesabwesend zurück.
    »Warum hast du mir nichts gesagt? Warum hast du mich nicht angerufen? Warum hast du dich nicht mit mir auseinandersetzen wollen?«
    »Ich habe geweint und bin weggelaufen, weil ich dachte, o nein, nicht schon wieder.«
    »Nicht schon wieder?«
    Deine Augen, in denen das ganze Elend deiner unbekannten Geschichte stand, schimmerten feucht.
    »Ich hatte schon einmal eine Enttäuschung erlebt. Bevor ich dich kennenlernte.«
    »Mein Gott. Ich bin unschuldig, Sara. Ich habe auch gelitten, als du plötzlich weg warst. Und ich habe erst vor fünf Tagen erfahren, warum du verschwunden bist.«
    »Und wie hast du mich gefunden?«
    »Über die gleiche Detektei, die uns damals ausspioniert hat. Ich liebe dich. Ich habe mich an jedem einzelnen Tag nach dir gesehnt. Ich habe deine Eltern zur Rede gestellt, aber die wollten mir nicht sagen, wo du stecktest und warum du verschwunden warst. Es war schrecklich.«
    Sie standen immer noch auf dem Treppenabsatz, aus der

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