Das Schweigen des Sammlers
sie schon mal gesehen?«
»Nein. Wer ist das?«
»Eine, die versucht, Adrià um den Finger zu wickeln.«
Carme setzte sich neben Lola Xica und nahm ihre Hand.
»Du musst mir einen Gefallen tun«, sagte sie.
»Sie bat mich, dir und Sara zu folgen und herauszufinden, ob das stimmte, was der von ihr engagierte Privatdetektiv herausgefunden hatte. Und tatsächlich: Ihr standet Hand in Hand an der Haltestelle der 47 an der Gran Via.
›Sie lieben sich, Carme‹, habe ich ihr gesagt.
›Das ist gefährlich‹, beharrte Carme.
Deine Mutter wusste, dass diese Frau dich hinters Licht führen wollte.«
»Mein Gott«, sagte Adrià, »was soll das denn heißen: Sie wollte mich hinters Licht führen?«
Lola Xica sah Carme erstaunt an und fragte noch einmal:»Was soll das denn heißen, dass sie ihn hinters Licht führen will? Siehst du nicht, dass die beiden sich lieben, Carme?«
Jetzt standen sie in Senyor Ardèvols Arbeitszimmer, und Carme sagte, ich habe Nachforschungen über die Familie dieses Mädchens angestellt: Sie heißen Voltes-Epstein.
»Ja, und?«
»Sie sind Juden.«
»Ah.« Pause. »Na und?«
»Ich habe nichts gegen Juden, das ist es nicht. Aber Fèlix … Ach, meine Liebe, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll …«
»Versuch’s.«
Carme ging ein paar Schritte bis zur Tür, öffnete sie, um sich zu vergewissern, dass Adrià noch nicht zu Hause war, obwohl sie das eigentlich genau wusste, schloss die Tür wieder und sagte noch leiser, Fèlix hatte geschäftlich mit Angehörigen dieser Leute zu tun und …
»Und was?«
»Na ja, sie haben sich zerstritten. Heftig zerstritten, um genau zu sein.«
»Fèlix ist tot, Carme.«
»Dieses Mädchen hat sich in unser Leben gedrängt, um uns Scherereien zu machen. Ich bin mir sicher, sie ist hinter dem Laden her …« Nun flüsterte sie fast: »Adrià ist ihr völlig egal.«
»Carme …«
»Er ist sehr verletzlich. Er lebt ja völlig in den Wolken, da kann sie mit ihm anstellen, was sie will.«
»Ich bin mir sicher, das Mädchen weiß gar nichts von dem Laden.«
»Wer’s glaubt, wird selig. Die haben uns schon haarklein ausspioniert.«
»Das kannst du doch gar nicht wissen.«
»Doch. Vor vierzehn Tagen war sie mit einer Frau im Laden, ich vermute, mit ihrer Mutter.«
Die beiden fragten erst mal nichts, sondern sahen sich um, wie viele Kunden es taten, allerdings mit einer Seelenruhe, als wollten sie den Wert des Geschäfts, des ganzen Hauses taxieren. Als Carme sie vom Büro aus erspähte, erkannte siegleich die junge Frau, die heimlich mit Adrià ausging, und da fügten sich die Puzzleteile zusammen, und sie verstand, dass sich hinter der Heimlichtuerei dieses Mädchens fragwürdige Absichten verbargen. Cecília, die sie bediente, erzählte Carme anschließend, dass sie Ausländer seien, vermutlich Franzosen. Sie hatten sich nämlich nach einem Schirmständer und zwei Spiegeln erkundigt, aber man hatte bemerkt, dass sie sich nicht wirklich für ein bestimmtes Objekt interessierten, sondern einfach den Laden in Augenschein nehmen wollten, verstehen Sie, Senyora Ardèvol? Noch am selben Abend rief Carme bei der Detektei Espelleta an, verlangte nach dem Chef und erteilte ihm einen neuen Auftrag, weil sie nicht zulassen konnte, dass die Gefühle ihres Sohnes für dunkle Zwecke missbraucht wurden. Ja, wenn möglich, der gleiche Detektiv.
»Aber wie … wie konnte Mutter … Sara und ich haben uns doch heimlich getroffen!«
»Nun ja …« Lola Xica starrte mit gesenktem Kopf auf das Tischtuch.
»Wie konnte sie ahnen, dass …«
»Maestro Manlleu. Als du ihm gesagt hast, dass du das Geigespielen endgültig aufgibst.«
»Was hast du gesagt?«, rief Maestro Manlleu empört, und seine buschigen weißen Augenbrauen standen wie Gewitterwolken über den hervorquellenden Augen.
»Dass ich nach dem Ende dieses Studienjahrs die Prüfung ablege und dann das Geigespielen aufgebe. Für immer.«
»Das ist dieses Mädchen – die bringt dich auf so dumme Gedanken.«
»Was für ein Mädchen?«
»Stell dich nicht blöd. Hast du jemals zwei Leute gesehen, die während der gesamten vierten Symphonie von Bruckner Händchen gehalten haben?«
»Na ja, aber …«
»Das sieht doch ein Blinder, wenn ihr dort oben auf der Bühne beieinanderhockt wie zwei zuckersüße Turteltäubchen, ihr Dummköpfe.«
»Das hat mit meiner Entscheidung nichts …«
»Es hat sehr viel mit deiner Entscheidung zu tun. Diese Harpyie hat einen schlechten Einfluss auf dich. Und dieses
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