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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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nicht einfach aus dem Kopf, wenn du es doch nicht kannst, und widmest dich stattdessen dem, was du beherrschst?
    »Geh mir nicht auf den Sack«, erwiderte Bernat, als er es ihm am achten Tage sagte. Und der Herr betrachtete sein Werk und sah, dass es gut war, denn er hatte das ganze Universum zu Hause, geordnet nach einer mehr oder weniger universellen Dezimalklassifikation. Und er sprach zu den Büchern, seid fruchtbar und mehret euch und füllt die Wohnung.
    »Das ist die größte Wohnung, die ich je gesehen habe«, sagte Laura, noch im Mantel, bewundernd.
    »Leg ab.«
    »Und die dunkelste.«
    »Ich vergesse immer, die Jalousien hochzuziehen. Warte.«
    Er zeigte ihr den präsentableren Teil der Wohnung, und als sie das Arbeitszimmer betraten, empfand er unwillkürlich eine Art Besitzerstolz.
    »Nanu, ist das eine Geige?«
    Adrià nahm die Geige aus dem Schrank und legte sie ihr in die Hände. Er merkte, dass sie nichts damit anzufangen wusste. Also legte er sie unter die Lupe und schaltete das Licht ein.
    »Lies mal, was hier drinnen steht.«
    »Laurentius Storioni Cremonensis«, las sie mühevoll, dochbegierig, »me fecit siebzehnhundertvierundsechzig. Mensch.« Bewundernd hob sie den Kopf. »Die muss sauteuer – Verzeihung, sehr teuer – gewesen sein.«
    »Wahrscheinlich. Ich weiß es nicht.«
    »Du weißt es nicht?«
    Sie starrte ihn mit offenem Mund an und gab ihm hastig das Instrument zurück, als hätte sie Angst, sich daran zu verbrennen.
    »Ich will es auch nicht wissen.«
    »Du bist seltsam, Adrià.«
    »Ja.«
    Sie schwiegen eine Weile, weil sie nicht wussten, was sie sagen sollten. Ich mag diese Frau. Aber immer wenn ich um sie bemühe, muss ich an dich denken, Sara, und zerbreche mir den Kopf darüber, wieso unsere große Liebe gescheitert ist. Damals konnte ich das noch nicht wissen.
    »Spielst du Geige?«
    »Na ja. Ein bisschen.«
    »Spiel mal was.«
    »Oje.«
    Ich nahm an, dass Laura nicht besonders viel von Musik verstand, aber ich irrte mich: Sie verstand überhaupt nichts von Musik. Doch das wusste ich noch nicht, und so spielte ich für sie aus dem Gedächtnis und ein bisschen improvisiert die Meditation aus der Thaïs , denn die kommt immer gut an. Mit geschlossenen Augen, weil ich mich nicht an alle Fingergriffe erinnerte und meine ganze Konzentration brauchte. Und als Adrià die Augen öffnete, weinte Laura bittere blaue Tränen und sah mich an, als wäre ich ein Gott oder ein Ungeheuer, und ich fragte, Laura, was hast du, und sie antwortete, ich weiß es nicht, mich hat hier drinnen irgendwas berührt, und ließ ihre flache Hand über der Magengegend kreisen; und ich antwortete, das ist der Klang der Geige, der ist wundervoll. Sie schluchzte auf, und da merkte ich erst, dass sie dezent geschminkt war, weil ihre Wimperntusche ein wenig verlaufen war, was ihr sehr gut stand. Aber dieses Mal hatte ich sie nicht ausgenutzt wie in Rom. Sie war bei mir, weil icham Vormittag, als sie gerade aus einem Seminar kam, zu ihr gesagt hatte, willst du zu meiner Wohnungseinweihung kommen? Und sie hatte zurückgefragt, wieso, bist du umgezogen? Ich sagte, nein. Sie fragte, feierst du eine Party? Und ich sagte, nein, aber ich weihe bei mir zu Hause ein neues Ordnungssystem ein und …
    »Kommen denn viele Leute?«
    »Eine ganze Menge.«
    »Wer?«
    »Na ja, du und ich.«
    Und sie war gekommen. Nach ihrem unwillkürlichen Aufschluchzen saß sie eine Zeitlang nachdenklich auf dem Sofa, hinter dem ich stundenlang gekauert und mit Sheriff Carson und seinem tapferen Freund spioniert hatte.
    Auf dem Nachttisch bei Geschichte und Geographie hielt Schwarzer Adler Wacht. Als wir das Zimmer betraten, nahm sie ihn in die Hand und betrachtete ihn, was der tapfere Häuptling der Arapaho klaglos über sich ergehen ließ. Dann wandte sie sich um, um etwas zu mir zu sagen, aber Adrià tat so, als hätte er es nicht bemerkt, und stellte ihr irgendeine belanglose Frage. Ich küsste sie. Wir küssten uns. Ganz zärtlich. Und anschließend brachte ich sie nach Hause, überzeugt, dass sie nicht die Richtige für mich war und ich ihr wahrscheinlich wehtat, ohne dass ich damals hätte sagen können, warum.
    Oder vielleicht doch. Weil ich in Lauras blauen Augen deine dunklen Augen suchte, die mir entflohen waren, und das ist etwas, was einem keine Frau verzeihen kann.

30
    Das Treppenhaus war eng und dunkel. Je höher er stieg, desto schlechter fühlte er sich. Ihm war, als ginge er eine Treppe in einem unbeleuchteten Puppenhaus

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