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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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niedergemäht, den einen auf dem Krankenhausflur, den anderen auf der grünen Bank, die über und über mit Blut bespritzt war. Darüber hinaus hatten sie eine kongolesische Krankenschwester und den Arzt des Krankenhauses von Bebenbeleke ermordet, Doktor Müss, der, vom Lärm aufgeschreckt, zum Krankensaal gelaufen und dort den Mördern wohl in die Quere gekommen war. Vielleicht hatte er den Angriff sogar mit der für ihn typischen Todesverachtung verhindern wollen und die Angreifer darauf hingewiesen, dass dieser Mann frisch operiert war. Oder vielleicht hatten sie ihm auch einfach in den Kopf geschossen, noch bevor er einen Laut von sich geben konnte. Nein, ein Zeuge sagte, sie hätten ihm in den Mund geschossen. Nein, in die Brust. In den Kopf. Jeder Patient verteidigte hartnäckig seine Version der Tragödie, selbst wenn er nichts gesehen hatte; und ich schwöre, das Tuch des Mörders war grün – oder vielleicht doch gelb, auf jeden Fall schwöre ich. Außerdem wurden zwei der Patienten, darunter ein Kind, durch Querschläger der aufTuru Mbulaka abgefeuerten Schüsse verletzt. Soweit lautete der Bericht über den Überraschungsangriff in einer Gegend, die nicht im Interessengebiet der europäischen Mächte lag. RTF widmete dem Vorfall ganze sechsundachtzig Sekunden, weil der ehemalige Präsident Giscard d’Estaing, als herauskam, dass er sich die Hände an Kaiser Bokassas Diamanten schmutzig machte, eine Afrikareise unternommen und bei einem Besuch der Provinz Kwilu einen Abstecher nach Bebenbeleke gemacht hatte, das allmählich berühmt wurde, obwohl sein Gründer völlig zurückgezogen und nur für seine Arbeit lebte. Giscard hatte sich mit Doktor Müss – der wie immer mit gesenktem Kopf dastand, in Gedanken bei der ungetanen Arbeit –, mit den Krankenschwestern von Bebenbeleke und einem Kind mit blitzweißem Gebiss ablichten lassen, das hinter der offiziellen Gruppe unbemerkt eine Fratze schnitt. Das war vor nicht allzu langer Zeit gewesen. Und Adrià schaltete den Fernseher aus, weil ihm eine solche Nachricht gerade noch gefehlt hatte.
    Zwei Tage später begannen die französischen und belgischen Medien ihre Meldungen aus aller Welt mit Details über das Massaker im Krankenhaus von Bebenbeleke: Der Anschlag auf den Stammesführer Turu Mbulaka, eine in der ganzen Region geachtete, verhasste, verleumdete, hochgelobte und gefürchtete Persönlichkeit, hatte acht Menschen das Leben gekostet, einschließlich Mbulakas, fünf aus dem Gefolge des Stammesführers, eine Krankenschwester und den Leiter des Krankenhauses, Doktor Eugen Müss, bekannt durch seine dreißigjährige aufopferungsvolle Tätigkeit für die Kranken in der abgelegenen Gegend zwischen Beleke und Kikongo. Man fragte, was wohl aus dem Krankenhaus werden würde, das der Arzt in den fünfziger Jahren gegründet hatte; und ganz nebenbei und als wäre es nicht weiter von Belang wurde am Ende der Meldung noch erwähnt, dass es als Reaktion auf das grausame Attentat gegen Turu Mbulaka in Yumbu-Yumbu zu Ausschreitungen zwischen Anhängern und Gegnern dieser umstrittenen Persönlichkeit – Warlord, Kazike und direktes Produkt der Entkolonialisierung durchden belgischen Staat – gekommen war, die ein Dutzend Menschenleben gefordert hatten.
    Und während Adrià im Hotel lag und träumte, dass Sara zu ihm kam und ihn bat, ob sie noch einmal von vorne anfangen könnten – und er würde sagen, wie hast du mich in diesem Hotel gefunden, und sie würde sagen, ich habe mich einfach an den Detektiv gewandt, den du mit der Suche nach mir beauftragt hattest –, aber sie kam nicht, und so ging er weder zum Frühstück noch zum Abendessen hinunter, rasierte sich nicht und tat auch sonst nichts außer zu weinen und sich zu wünschen, er wäre tot –, während Adrià sich also seinem Kummer hingab, entglitt dreihundertdreiundvierzig Kilometer weiter nördlich ein Exemplar der Gazet van Antwerpen den zitternden Händen, die die Zeitung gehalten hatten. Sie landete vor dem Fernseher, in dem gerade die Meldung aus Bebenbeleke kam, auf dem Tisch, neben der Tasse mit dem Lindenblütentee. Der Mann schob die Zeitung beiseite, sodass sie auf den Boden fiel, und betrachtete seine Hände. Sie zitterten unkontrolliert. Er schlug sie vors Gesicht und weinte, wie er seit dreißig Jahren nicht geweint hatte. Die Hölle lauert überall, stets bereit, in einen Winkel unserer Seele einzudringen.
    Für den Abend wurde im flämischen Fernsehen eine Dokumentation über Doktor

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