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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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hätte er es eilig, etwas zu tun – und ich möchte nicht aussprechen, was das sein könnte, möge Gott mir verzeihen.«
    »Du musst es sagen, Bruder. Der Gehorsam verpflichtet dich dazu.«
    »Bruder Robert«, stieß der Bruder Krankenpfleger hervor, nachdem er sich mit dem Taschentuch über die verschwitzte Glatze gefahren war, um seine Nervosität zu unterdrücken, »will sterben, Vater. Und noch dazu …«
    Während er das Taschentuch in den Falten seines Habits verschwinden ließ, verriet er dem Pater Prior das Geheimnis, das der ehrwürdige Pater Maarten, Abt des Klosters von Anchel, eigentlich hatte mit ins Grab nehmen wollen. Der Abt hatte dem Ersuchen Bruder Roberts um Aufnahme als Novize in den Zisterzienserorden der strengeren Observanz stattgegeben, denn das an den kühlen, klaren Wassern des Tongelreep gelegene Kloster des heiligen Benedikt von Achel war ein idyllischer Ort, wie geschaffen zur Linderung der Qualen, die einer Seele durch die Sünden der anderen und die eigene Schwäche zugefügt worden waren. Hier konnte Matthias Alpaerts, der zukünftige Bruder Robert, Landwirtschaft betreiben und reine, nur nach Kuhmist stinkende Luft atmen; hier lernte er Käse zu machen, Kupfer zu schlagen und die staubigen Ecken des Kreuzgangs und eines jeden Raums auszufegen, von dem man ihm bedeutete, dass er ihn ausfegen solle, rund um die Uhr umgeben vom eisernen Schweigen seiner neuen Freunde, der Trappistenmönche. Ohne zu murren stand er jeden Morgen um drei Uhr auf, zur kältesten Stunde der Nacht, und betete mit froststarren, von den Sandalen nur notdürftig geschützten Füßen die Matutin, die die Hoffnung auf einen neuen Tag und vielleicht auch auf eine neue Hoffnung weckte. Zurück in seiner Zelle, widmete er sich dann der Lectio Divina. Das war häufig eine Zeit innerer Qualen, weil die Bilder all dessen, was er erlebt hatte, erbarmungslos seine geschundene Seele heimsuchten und Gott Tag für Tag stumm blieb, wie er es gewesen war, als sie die Hölle durchlebt hatten. Die Glocke, die zum Laudes rief, weckte einen kleinen Hoffnungsschimmer in ihm, und anschließend, bei der Konventsmesse um sechs, starrte er, soweit es ihm die Demut erlaubte, unablässig seine lebendigen, gläubigen Mitbrüder an und betete mit ihnen, nie wieder, o Herr, nie wieder. In den vier Stunden, die er im Stall verbrachte, war er vielleicht der Glückseligkeit am nächsten. Während er die Kühe molk, flüsterte er ihnen seine schrecklichen Geheimnisse zu, und sie sahen ihn aus mitleidigen, verständnisvollen Augen durchdringend an. Bald lernte er, diesen besonders aromatischen Käse aus Tuinkruiden herzustellen, und er träumte, dass er ihn unter tausenden Gläubigen verteilte und sagte, der Leib Christi, obwohl er doch die Kommunion gar nicht erteilen durfte, weil er darum gebeten hatte, nicht einmal für den niedersten Grad ordiniert zu werden, denn er war ein Niemand und wollte nur einen Winkel, wo er für den Rest seines Lebens beten konnte, wie Fra Miquel de Susqueda, ein anderer Flüchtling, einige Jahrhunderte zuvor, als er um Aufnahme in Sant Pere de Burgal bat. Vier Stunden zwischen Mist und wiederkäuenden Kühen, unterbrochen nur von dem Gebet zur Terz. Dann wusch er sich Gesicht und Hände, um seine Mitbrüder nicht mit seinem Gestank zu belästigen, und betrat die Kirche wie ein Refugium gegen das Böse, um mit den anderen die Sext zu beten, das Mittagsgebet. Mehr als einmal hatten seine Vorgesetzten ihm untersagt, jeden Tag das Geschirr zu spülen, weil dies eine Aufgabe war, die ausnahmslos alle Brüder der Gemeinschaft zu erledigen hatten, und er musste aus heiligem Gehorsam heraus seinen Wunsch zu dienen unterdrücken. Um zwei Uhr nachmittags kehrten sie in den schützenden Kirchenraum zurück, um die Nonen zu beten, und danach bleiben ihm noch zwei Stunden Arbeit, die er nicht bei den Kühen verbrachte, sondern mit dem Düngen der Beete und dem Verbrennen von Unkraut. Anschließend musste er sich wieder waschen, weil er nicht wie die Brüder war, die in der Bibliothek arbeiteten und sich nach beendeter Arbeit höchstens den Staub von den Fingerspitzen wischen mussten und vielleicht die Brüder beneideten, die körperliche Arbeit leisteten, anstatt sich in geschlossenen Räumen Augen und Geist zu ruinieren. Die zweite Lectio Divina am Nachmittag war das lange Präludium zum Vespergesang um sechs Uhr abends. Nach dem Nachtmahl,bei dem er zu essen vorgab, kam die Stunde des Komplet, zu der sich wieder alle in der

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