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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Aufstieg, doch dann blieb er stehen und drehte sich um: »Nur eines wüsste ich gern von dir.«
    Es ist kaum zu fassen, aber ich fragte dich tatsächlich, was deine und meine Mutter dir gesagt hatten. Was sie dir erzählt hatten, um dich zu überzeugen.
    Deine strahlende Miene verdüsterte sich, und ich dachte, Mist, ich hab’s mal wieder versiebt. Einen Augenblick lang warst du still, dann sagtest du mit brüchiger Stimme, ich habe dich gebeten, mich das nicht zu fragen. Ich habe dich darum gebeten …
    Langsam nahmst du einen Stein und warfst ihn die Böschung hinab.
    »Ich will diese Worte nicht wieder aufleben lassen. Ich will nicht, dass du sie erfährst; ich will sie dir ersparen, weil du alles Recht der Welt hast, sie nicht zu kennen. Und ich habe das Recht, sie zu vergessen.« Mit einer anmutigen Geste rücktest du den Rucksack zurecht. »Denk dran, es ist Blaubarts verschlossenes Zimmer.«
    Ihre Worte kamen so rundheraus, dass mir schien, du hattest nie aufgehört, darüber nachzudenken. Wir lebten schon eine ganze Weile zusammen, und mir hatte die Frage immer auf den Lippen gelegen – immer.
    »In Ordnung«, sagte Adrià. »Ich werde dich nie wieder fragen.«
    Sie setzten ihren Aufstieg fort. Noch ein steiles Stück Pfad, dann standen wir endlich – ich mit meinen sechsunddreißig Jahren zum ersten Mal – vor den Ruinen des Klosters von Sant Pere de Burgal, von dem ich so oft geträumt hatte, und Bruder Julià de Sau, der als Dominikanermönch Fra Miquel geheißen hatte, kam uns mit dem Schlüssel in den Händen entgegen, um uns willkommen zu heißen. Mit dem Allerheiligsten in den Händen. Mit dem Tod in den Händen.
    »Brüder, der Friede des Herrn sei mit euch«, sagte er zu uns.
    »Und mit dir«, antwortete ich.
    »Was sagst du?«, fragte Sara überrascht.

V  Vita condita
     
     
     
    Mit Bleistift geschrieben im
verplombten Waggon
     
    hier in diesem Transport bin ich Eva mit Abel meinem Sohn wenn ihr meinen großen Sohn seht Kain Adams Sohn sagt ihm daß ich
    DAN PAGIS

38
    »Wer künstlerische Schönheit einmal gekostet hat, dem verändert sie das Leben. Einmal den Monteverdi-Chor zu hören, verändert dein Leben. Einmal einen Vermeer aus der Nähe zu sehen, verändert dein Leben. Nachdem du Proust gelesen hast, bist du nicht mehr derselbe. Ich weiß aber nicht, warum das so ist.«
    »Schreib’s auf.«
    »Wir sind nichts als Zufall.«
    »Was?«
    »Es wäre wahrscheinlicher gewesen, dass es uns nicht gegeben hätte, und dennoch gibt es uns. Generationen frenetischer Tänze von Spermatozoiden auf der Jagd nach der Eizelle, zufällige Empfängnis, Tod, Vernichtung … und jetzt sitzen du und ich uns hier gegenüber, als hätte es nicht anders kommen können. Als wäre nur dieser eine Stammbaum denkbar.«
    »Tja, das ist normal, oder?«
    »Nein. Das ist ein bbeschissener Zufall.«
    »Nun ja …«
    »Und die Tatsache, dass du so gut Geige spielen kannst, ist ein noch größerer bbeschissener Zufall.«
    »In Ordnung. Aber …« Pause. »Bei dem, was du da sagst, wird einem ein bisschen schwindlig, findest du nicht?«
    »Ja. Und deshalb versuchen wir, das Chaos mit Hilfe der künstlerischen Ordnung zu überleben.«
    »Das solltest du aufschreiben«, sagte Bernat und trank einen Schluck Tee.
    »Die Macht der Kunst liegt in ihren Werken oder vielmehr in der Wirkung ihrer Werke auf die Menschen. Meinst du nicht?«
    »Du solltest es aufschreiben«, beharrte Sara einige Tage später wieder. »Dann wirst du es selbst besser verstehen.«
    »Warum lässt Homer mich erstarren? Warum verschlägt mir das Klarinettenquintett von Brahms den Atem?«
    »Schreib’s auf«, erwiderte Bernat sofort. »Und damit tätest du mir einen Gefallen, denn das würde ich auch gern wissen.«
    »Wie kommt es, dass ich vor niemandem auf die Knie fallen kann, aber kein Problem damit habe, Beethovens Pastorale anzubeten?«
    »Die Pastorale ist ein hartes Stück Arbeit.«
    »Mag sein. Weißt du, was hinter Beethoven stand? Die hundertacht Symphonien von Haydn.«
    »Und die einundvierzig von Mozart.«
    »Stimmt. Aber Beethoven konnte nur neun schreiben. Weil sich seine neun fast alle auf einer anderen Stufe moralischer Komplexität bewegen.«
    »Moralisch?«
    »Moralisch.«
    »Schreib das auf.«
    »Ohne ihre Evolution zu betrachten, können wir Kunst nicht begreifen.« Er putzte sich die Zähne und spülte den Mund aus. Während er sich abtrocknete, rief er durch die offene Badezimmertür: »Aber immer braucht es den Geniestreich des

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