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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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irgendwann tauchen sie geifernd wieder auf und wollen noch mehr.«
    Mein Vater wusste, wovon er sprach.
    »Ein Musiker will ein Instrument zum Spielen. Wenn er eins hat, spielt er darauf. Ein Sammler braucht nicht zu spielen. Er kann zehn Instrumente haben, bloß um sie zu streicheln. Oder mit den Augen zu liebkosen. Dann ist er glücklich. Ein Sammler berührt ein Instrument nicht zum Musizieren, es berührt ihn.«
    Mein Vater war sehr klug.
    »Ein Musiker und Sammler? Ein Glückstreffer, aber ich kenne keinen einzigen.«
    Und da fasste Adrià Vertrauen und sagte, Herr Romeu sei so langweilig wie ein Sonntagnachmittag, und daraufhin durchbohrte er mich mit diesem Blick, der mir noch heute, mit sechzig Jahren, Beklemmungen verursacht.
    »Wie bitte?«
    »Herr Romeu …«
    »Nein, langweilig wie was?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Doch, du weißt es.«
    »Wie ein Sonntagnachmittag.«
    »Na schön.«
    Mein Vater hatte immer recht.
    Während des folgenden Schweigens hatte ich das Gefühl, als steckte er meine Worte in die Tasche, für seine Sammlung. Nachdem er sie gut verstaut hatte, nahm er den Gesprächsfaden wieder auf.
    »Warum ist er langweilig?«
    »Er lässt mich andauernd Deklinationen und Konjugationen üben, die ich längst in- und auswendig kann, und ich muss Dinge sagen wie, dieser Käse ist sehr gut, wo hast du ihn gekauft? Oder auch, ich lebe in Hannover und heiße Kurt. Wo wohnst du? Gefällt dir Berlin?«
    »Und was wäre dir lieber?«
    »Ich weiß nicht. Eine spannende Geschichte lesen. Ich würde gern Karl May auf Deutsch lesen.«
    »Na gut, ich glaube, du hast recht.«
    Ich wiederhole: Na gut, ich glaube, du hast recht. Um ganz genau zu sein: Es war das einzige Mal in meinem Leben, dass er mir recht gab. Wäre ich Fetischist, hätte ich mir den Satz samt Datum und Uhrzeit des Ereignisses eingerahmt. Und ein Schwarz-Weiß-Foto davon gemacht.
    Am folgenden Tag hatte ich keinen Unterricht, weil Herr Romeu entlassen worden war. Adrià fühlte sich furchtbar wichtig, als hätte er Macht über das Schicksal der Menschen. Es war ein glorreicher Dienstag. Diesmal freute es mich, dass mein Vater alle so fest an der Kandare hatte. Ich muss etwa neun oder zehn gewesen sein, hatte jedoch ein hochentwickeltes Ehrgefühl. Oder Angst, mich lächerlich zu machen. Rückblickend stellte Adrià Ardèvol fest, dass er nicht einmal als kleiner Junge ein Kind gewesen war. Er machte beschleunigte Reifeprozesse durch, wie andere Erkältungen oder Infektionskrankheiten durchmachen. Im Grunde tue ich mir leid. Und dabei kannte ich die Einzelheiten noch nicht, die ich mir heute zusammenreimen kann. Beispielsweise erhielt mein Vater, als der neu eröffnete Laden noch auf wackligen Beinen stand und Cecília hübsche Frisuren übte, Besuch von einem Kunden, der etwas mit ihm besprechen wollte. Vater bat ihn ins Büro, und der Unbekannte sagte, Senyor Ardèvol, ich bin nicht hier, um etwas zu kaufen, und Vater sah ihm in die Augen und wappnete sich.
    »Verraten Sie mir, warum Sie dann hier sind?«
    »Um Sie zu warnen: Ihr Leben ist in Gefahr.«
    »Ach ja?« Vater lächelte. Ein leicht angewidertes Lächeln.
    »Ja.«
    »Darf ich fragen, warum?«
    »Sie dürfen. Zum Beispiel, weil Dr. Montells aus dem Gefängnis entlassen worden ist.«
    »Ich weiß nicht, von wem Sie reden.«
    »Und er hat uns einiges erzählt.«
    »Wer ist uns ?«
    »Sagen wir mal, wir sind sehr verärgert, weil Sie ihn als Katalanisten und Kommunisten denunziert haben.«
    »Ich?«
    »Sie.«
    »Ich bin kein Klatschmaul. Sonst noch was?« Mein Vater erhob sich.
    Der Besucher stand nicht auf. Er setzte sich noch bequemer hin und drehte sich mit unglaublicher Fingerfertigkeit eine Zigarette. Und zündete sie an.
    »Hier wird nicht geraucht.«
    »Jetzt schon.« Mit der Zigarette in der Hand deutete er auf Vater. »Und wir wissen, dass Sie noch drei weitere Personen angezeigt haben. Sie alle lassen Ihnen Grüße ausrichten, von zu Hause oder aus dem Gefängnis. Sie sollten sich an jeder Ecke in Acht nehmen, die sind gefährlich.«
    Er drückte die Zigarette auf der Tischplatte aus, als wäre sie ein riesiger Aschenbecher, blies Senyor Ardèvol den Rauch ins Gesicht, stand auf und verließ den Raum. Fèlix Ardèvolsah zu, wie sich die Glut in das Holz des Tisches fraß, ohne etwas dagegen zu unternehmen. Als wäre es seine Strafe.
    Am Abend zu Hause nahm mich mein Vater, wohl um sein Unbehagen loszuwerden, mit in sein Arbeitszimmer und zeigte mir zur Belohnung – zur

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