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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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denen er wegen einer unvorhergesehenen Änderung seines Stundenplans an der Messe teilgenommen und dem Priester zugesehen hatte, wenn dieser vor dem Altar mit Hostienschale, Messkännchen und Kelch in genuscheltem Latein heilige Handlungen vollzog. Und er begann zu beten und sagte, domina mea, dieser reife Priorat ist ein komplexer, samtiger Wein von kraftvollem Aroma mit feinem Nelkenbukett und zarter Röstnote, abhängig von der Qualität der Eichenfässer, in denen er ausgebaut wurde.
    Er nickte Sara zu, und beide kosteten den Wein, wie Max es ihnen anlässlich ihrer gemeinsamen Weinprobe gezeigt hatte, bei der sie zum Schluss fast auf dem Esstisch Conga getanzt hätten.
    »Nimmst du die Röstnote wahr?«
    »Nein. Nur den Verkehr auf dem Carrer València.«
    »Konzentriere dich«, befahl Adrià und schnalzte mit der Zunge. »Ich glaube, ich schmecke einen fernen Hauch von so etwas wie Kokos.«
    »Kokos?«
    Warum erzählst du mir deine Geheimnisse nicht, Sara? Welchen Beigeschmack verleihen deinem Leben die Episoden, die ich nicht kenne? Schmecken sie nach Trüffel oder nach dunklen Beeren? Oder nach einem Kind, das ich nicht kenne? Aber ein Kind zu haben ist doch etwas ganz Normales, jeder wünscht sich das. Was hast du gegen das Leben?
    Als wüsste sie, was in ihm vorging, sagte Sara, sieh nur, sieh, sieh, sieh, was Max sagt: Dieser Priorat ist viril, komplex, intensiv, kräftig und strukturiert.
    »Donnerlittchen!«
    »Klingt, als rede er von einem Zuchthengst.«
    »Schmeckt er dir oder nicht?«
    »Ja. Aber er ist mir zu stark. Ich werde ihn verdünnen müssen.«
    »Wehe. Max wird dich umbringen.«
    »Er braucht es ja nicht zu wissen.«
    »Ich könnte dich verraten.«
    » Mouchard , salaud .«
    »War nur ein Scherz.«
    Wir tranken, lasen die poetische Prosa, die Max für amerikanische Weinkunden über das Priorat, Costers del Segre, Montsant und etliche andere Gegenden verfasst hatte, und waren wohl ziemlich blau, denn als draußen mit krachenden Fehlzündungen ein Motorrad vorbeiraste, lachten wir uns halb tot, statt uns darüber zu empören. Und du trankst schließlich doch aus deinem Porró und kipptest Wasser in den Wein, möge Max dir vergeben, und ich würde dich niemals verpfeifen. Ich brachte es nicht fertig, dich zu fragen, was es mit diesem Kind oder dieser Schwangerschaft auf sich hatte. Hattest du womöglich abgetrieben? Von wem war das Kind? Und in diesem Moment klingelte das verdammte Telefon, das mein Leben lang immer im falschen Moment geklingelt hat. Ich habe mich nie durchringen können, darauf zu verzichten, doch im Hinblick auf das, was es mir gebracht hat, wäre mein Leben ohne Telefon ein wenig erträglicher gewesen. Herrje, meine Nerven! Ja, ja, ja, ich komme ja schon. Hallo?
    »Adrià.«
    »Max?«
    »Ja.«
    »Ach nee! Wir feiern gerade mit deinem Wein. Und Sara trinkt ihn nicht aus dem Porró, Ehrenwort. Wir haben mit einem virilen, kräftigen, komplexen Priorat angefangen, der mit Vorsicht zu genießen ist. Danke für dieses Geschenk, Max.«
    »Adrià.«
    »Köstlich, kann ich dir sagen.«
    »Vater ist gestorben.«
    »Und das Buch ist traumhaft. Die Fotos und die Texte.«
    Adrià schluckte benommen und sagte, was hast du gesagt? Und Sara, der nie etwas entging, fragte, was ist los?
    »Vater ist gestorben, hörst du mich, Adrià?«
    »Du lieber Gott!«
    Sara stand auf und kam zum Telefon. Ich sagte, es geht um deinen Vater, Sara. Und ins Telefon: Wir kommen sofort, Max.
    Beide Male erreichte uns die Nachricht vom Tod deiner Eltern per Telefon und wie ein Blitz aus heiterem Himmel, auch wenn Senyor Voltes seit einigen Jahren ziemlich gebrechlich war, Probleme mit dem Herzen hatte und wir wussten, dass er uns eines Tages eine böse Überraschung bereiten würde. Und Max wirkte sehr betroffen, denn er hatte sich um seinen Vater gekümmert, weshalb er noch immer in seinem Elternhaus wohnte, aber er hatte nicht erkannt, dass es mit dem Alten zu Ende ging, und so war er nicht zu Hause gewesen, als der Vater starb, und bei seiner Rückkehr hatte die Pflegerin gesagt, Senyor Voltes, Ihr Vater. Er fühlte sich schuldig, ohne recht zu wissen, woran; und ich nahm ihn beiseite und sagte, Max, du warst ein vorbildlicher Sohn und immer für deine Eltern da. Quäl dich nicht, und sei nicht ungerecht gegen dich selbst. Wie alt war dein Vater? Achtzig?
    »Sechsundachtzig.«
    Ich wollte das hohe Alter des Vaters nicht als Argument benutzen, um das Gewissen des Sohnes zu entlasten, und so wiederholte ich

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