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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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wusste nicht, dass du mit dir rangst, ob du dein Wort halten oder mir den Marsch blasen solltest. Sie entschied sich, ihr Wort zu halten, kam wieder herein, legte sich ins Bett und sagte gute Nacht.
    Welchem knüpfst du dein blondes Haar, einfach wählend den Schmuck? , dachte Adrià, und es erschien ihm absurd, dabei Sara, seine Sara, anzusehen, die ihm grollend den Rücken zugedreht hatte, und ihr offen über die Schultern fallendes schwarzes Haar zu betrachten. Einfach wählend den Schmuck. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, also schlug ich das Buch mit den Oden zu und schaltete das Licht aus. Ich lag noch lange mit offenen Augen da.
    Als Sara und Adrià am nächsten Tag aufstanden, war von Bernat keine Spur mehr vorhanden, keine Geige, keine Partitur, keine Kleidung. Nur ein Zettel auf dem Küchentisch, auf dem stand, danke, liebe Freunde. Ich danke euch von Herzen. Im Gästezimmer lagen die benutzten Laken gefaltet auf dem Bett. Er war vollkommen weg, und ich fühlte mich sehr mies.
    »Howgh.«
    »Was.«
    »Du hast es ganz schön verbockt, geschätzter Jagdgenosse.«
    »Ich habe dich nicht nach deiner Meinung gefragt.«
    »Aber du hast es verbockt, stimmt’s, Carson?«
    Adrià hörte nur ein leises Platschen, als der wackere Sheriff verächtlich auf den Boden spuckte.
    Seltsamerweise machte Sara mir keinerlei Vorwürfe, als sie feststellte, das Bernat fort war. Unser Leben ging weiter seinen Gang. Doch sollte es noch Jahre dauern, bis ich die Zusammenhänge begriff.

45
    Den ganzen Nachmittag lang hatte Adrià auf die Wand seines Arbeitszimmers gestarrt; unfähig, eine Zeile zu schreiben, unfähig, sich auf eine Lektüre zu konzentrieren, hatte er nur die Wand angesehen, als suchte er dort einen Ausweg aus seiner Verwirrung. Nach mehreren Stunden, von denen er keine zehn Minuten nutzbringend verbracht hatte, beschloss er, Tee zu machen. Aus der Küche rief er, willst du einen Tee?, und interpretierte das Mmm, das aus Saras Atelier kam, als, ja, danke, gute Idee. Als er mit der dampfenden Tasse ihr Atelier betrat, betrachtete er ihren Nacken. Sie hatte die Haare zum Pferdeschwanz gebunden, wie immer, wenn sie zeichnete. Ich bin verliebt in deinen Zopf, in deinen Pferdeschwanz, dein Haar, ganz gleich, wie du es trägst. Sara zeichnete Häuser, die zu einem verlassenen Dorf gehören könnten, auf ein querformatiges Blatt. Jetzt skizzierte sie im Hintergrund ein Bauernhaus. Adrià trank einen Schluck Tee und verfolgte mit großen Augen, wie nach und nach das Haus entstand; ja, es war verlassen. Und daneben eine halb geborstene Zypresse, in die vermutlich der Blitz eingeschlagen war. Und unvermittelt wandte sich Sara wieder den Häusern an der Straße zu, im Vordergrund links auf dem Blatt, und zeichnete die Leibung eines bis dahin inexistenten Fensters. Es ging so schnell, dass es Adrià wie Zauberei vorkam und er sich fragte, wie Sara auf dem weißen Papier ein Fenster hatte sehen können, und warum es ihm, kaum dass es da war, schon immer dagewesen zu sein schien. Fast war ihm, als hätte man ihm bei Terricabres, wo er das Papier gekauft hatte, dieses schon mit dem Fenster verkauft, und er dachte, dass diese Begabung Saras etwas Wunderbares sei. Mit aller Selbstverständlichkeit kehrte Sara zu dem Bauernhaus zurück und schwärzte die offene Eingangstür, und das Haus, das bis dahin eine Zeichnung gewesen war, erwachte zum Leben, als erteilte der Schatten derverwischten Zeichenkohle dem Betrachter nun die Erlaubnis, sich das Leben im Inneren des Hauses vorzustellen. Wieder nahm Adrià einen Schluck von Saras Tee und sagte bewundernd:
    »Wo nimmst du die Ideen her?«
    »Hier«, sagte sie und tippte sich an die Stirn, wo ihr Finger einen schwarzen Fleck hinterließ.
    Dann begann sie, den Weg mit Altersspuren zu versehen, gab ihm die Rillen, die die Räder der Karren auf ihrem jahrzehntelangen Hin und Her zwischen dem Bauernhaus und dem Dorf hineingegraben hatten, und ich beneidete Sara um diese schöpferische Kraft. Mittlerweile hatte ich ihren Tee selbst ausgetrunken, und die Beklommenheit, die mich den ganzen Nachmittag am Arbeiten gehindert hatte, kehrte zurück. Denn als Sara von der Frauenärztin nach Hause gekommen war, hatte sie ihre Handtasche offen im Flur stehen lassen und war ins Bad gerannt, und Adrià hatte in ihrer Tasche gekramt und Geld gesucht, um nicht zur Sparkasse gehen zu müssen, und dabei den Bericht gefunden, den Frau Doktor Andreu an den Hausarzt geschrieben hatte und den zu

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