Das Schweigen des Sammlers
weißt.«
Schweigen. Es gab keine tickende Uhr auf dem Kaminsims. Doch man spürte die leichte Brise, die von dem Urgell an der Esszimmerwand ausging, wo die Sonne noch immer den Glockenturm von Santa Maria de Gerri beschien, und man hörte das Rauschen des Flusses, der von Burgal herabströmte. Auf einmal wies Adrià mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Bernat und sagte ganz ruhig mit der Stimme von Sheriff Carson:
»Du hast dich verplappert, Kleiner.«
»Ich?«
»Du kennst Berlin nicht, hast nie von ihm gehört, weißt aber, dass er in Oxford lebt.«
Bernat schaute Sara an, die seinem Blick auswich. Adrià beobachtete sie beide und sagte, tu quoque, Sara?
»Sara quoque.« Bernat gab sich geschlagen. Mit gesenktem Kopf sagte er, ich fürchte, es gibt da eine Kleinigkeit, die ich vergessen habe, dir zu erzählen.
»Dann los. Ich höre.«
»Alles begann vor …« Wieder sah Bernat Sara an. »Fünf oder sechs Jahren?«
»Siebeneinhalb.«
»Ja. Zeitrechnung ist nicht meine Stärke … Siebeneinhalb Jahre ist es her.«
Kaum dass sie die Bar betreten hatte, hielt er ihr ein Exemplar der deutschen Ausgabe von Der ästhetische Wille unter die Nase. Sie sah auf das Buch, sah Bernat an, gab es ihm dann mit fragender Miene zurück und setzte sich.
»Möchte die Dame etwas trinken?« Das Lächeln des glatzköpfigen Kellners, der aus dem Dunkel aufgetaucht war, geriet etwas zu untertänig.
»Zwei Wasser«, verlangte Bernat unwirsch. Der Kellner schnitt im Weggehen eine Grimasse und knurrte, je größer der Kerl, desto größer der Flegel, das habe schon sein Vater immer gesagt. Bernat beachtete ihn nicht.
»Ich habe eine Idee, die ich mit dir besprechen möchte, aber du musst mir schwören, dass du Adrià kein Wort davon sagst.«
Sie verhandelten: Wie soll ich dir etwas schwören, wenn ich gar nicht weiß, worum es geht. Er darf nichts davon wissen. Einverstanden, aber sag mir zuerst, worum es geht, sonst kann ich nicht schwören. Es ist aber etwas Verrücktes. Ein Grund mehr, nicht zu schwören, es sei denn, es ist etwas so Verrücktes, dass es sich schon wieder lohnt. Es ist etwas sehr Verrücktes, das sich lohnt. Verflixt, Bernat. Ich brauche dich als Komplizin, Sara.
Nach diesem Hin und Her kamen sie überein, dass Saggas Schwur provisorisch sein sollte und sie ihn zurückziehen dürfte, wenn ihr die Verrücktheit zu weit ginge.
»Du hast doch gesagt, deine Familie sei mit Isaiah Berlin bekannt. Trifft das noch zu?«
»Ja, schon …, seine Frau ist über ein paar Ecken mit irgendwelchen Vettern der Epsteins verschwägert.«
»Wäre es vielleicht möglich …, dass du mich mit ihm in Kontakt bringst?«
»Was hast du vor?«
»Ihm dieses Buch bringen. Er muss es lesen.«
»Also, ich weiß nicht …«
»Es wird ihm bestimmt gefallen.«
»Du spinnst ja. Warum sollte er etwas von einem Unbekannten lesen, der …«
»Ich sage doch, es ist verrückt«, fiel er ihr ins Wort, »aber ich möchte es gern versuchen.«
Sara dachte eine Weile nach. Ich stelle mir vor, wie du beim Nachdenken die Stirn kraust, Liebste. Ich sehe dich in irgendeiner Bar sitzen und Bernat, diesen Spinner, ungläubig ansehen. Du sagst, warte mal, und ich sehe dich in deinem Taschenkalender blättern, die Nummer von Tante Chantalfinden und sie vom Telefon der Bar aus anrufen, das mit Chips funktionierte. Bernat hatte sich vom Kellner Dutzende von Chips geben lassen, die man nach und nach fallen hörte, während Sara sagte, allô, ma chère tante, ça marche bien? (…) Oui. (…) Oui. (…….) Aoui. (……….) Aaooui. (………….), und Bernat steckte mit stoischer Miene einen Chip nach dem anderen in den Apparat, verlangte herrisch mehr Chips vom Kellner, das ist ein Notfall!, und legte zur Sicherheit einen Hundertpesetenschein auf die Theke, und Sara sagte immer noch Oui. (……………) Oui. (………………..). Aoui. (………………………………….), bis der Kellner sagte, Schluss jetzt, er sei schließlich nicht die Telefònica, er habe keine Chips mehr, und daraufhin begann Sara, ihr Tantchen geschickt nach den Berlins auszufragen, kritzelte hastig etwas in ihren Kalender und sagte, oui, oui, oui!!!, und während sie sich bei ma chère tante für die Auskunft bedankte, klickte es im Hörer, die Verbindung war mangels Chips unterbrochen, und sie fühlte sich unbehaglich, weil sie sich von ihrer chère tante Chantal nicht hatte verabschieden können.
»Was hat sie gesagt?«
»Sie will versuchen, Aline zu
Weitere Kostenlose Bücher