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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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nicht, ob es je fertig wird. Betrachte das als offizielle Version.«
    Todó lehnte sich an die Steinbrüstung.
    »Weißt du was?«, sagte er nach einer langen Pause. »Ich würde mich sehr freuen, wenn du es hinbekämst.« Er schielte ihn aus den Augenwinkeln an. »Mir täte es gut, so etwas zu lesen.«
    Er klopfte ihm kameradschaftlich auf den Arm und verzog sich in sein Büro am Ende des Kreuzgangs. Unten schlenderte Hand in Hand ein Paar vorüber, unberührt vom Rest der Welt, und Adrià beneidete die beiden. Er wusste, dass Todó nicht gesagt hatte, so ein Buch täte ihm gut, um Süßholz zu raspeln; und schon gar nicht, weil er meinte, es täte seinem Geist gut, ein Buch zu lesen, das das Unvereinbare vereint, oder weil er liebend gern bewiesen hätte, dass die großen Denker das Gleiche taten wie Tolstoi, nur mit Ideen. Todós Geist war einfacher gestrickt, und er konnte es nur deshalb kaum erwarten, das Buch zu lesen, das noch gar nicht existierte, weil er sich seit Jahren beharrlich abmühte, die Autorität von Dr. Basas in seinem Fachbereich und an der Universität zu untergraben. Und die beste Methode war, neue Idole zu schaffen, welcher Fachrichtung auch immer. Wenn du nicht wärst, hätte ich es sogar als schmeichelhaft empfunden, für die Machtkämpfe der anderen herzuhalten. Die Geige gehört der Familie, Sara. Das kann ich meinem Vater nicht antun. Er ist wegen dieser Geige gestorben, und jetzt willst du, dass ich sie einem wildfremden Menschen schenke, weil der behauptet, sie gehöre ihm? Und wenn du das nicht verstehen kannst, dann nur, weil du beim Thema Juden auf stur schaltest. Und dich von Verbrechern wie Tito und Senyor Berenguer beschwatzen lässt. Eloi, Eloi, lama sabachthani.
    Allein im Büro kam ihm plötzlich die Idee. Oder bessergesagt, er fasste endlich den Entschluss. Es musste die Euphorie über das fast fertige Buch sein. Er griff zum Telefon, wählte und wartete geduldig, während er dachte, hoffentlich ist sie da, hoffentlich ist sie da, hoffentlich ist sie da, denn sonst … Er sah auf die Uhr: fast eins. Bestimmt störte er sie beim Essen.
    »Ja, bitte?«
    »Max, hier ist Adrià.«
    »Was gibt’s?«
    »Kann ich sie sprechen?«
    Kurzes Zögern.
    »Mal sehen. Augenblick.«
    Das hieß, sie war da! Sie war weder nach Paris geflüchtet, ins achte Arrondissement, noch nach Israel ausgewandert. Meine Sara war noch in Cadaqués. Meine Sara wollte gar nicht weit weg von mir … Am anderen Ende der Leitung war es noch still. Keine Schritte, kein leises Gespräch im Hintergrund. Es dauerte etliche endlos lange Sekunden. Die Stimme war wieder die von Max:
    »Hör zu, sie sagt … Es tut mir ja leid …, aber sie sagt, ich soll dich fragen, ob du die Geige zurückgegeben hast.«
    »Nein. Darüber will ich mit ihr sprechen.«
    »Na ja …, sie sagt, dann … würde sie nicht ans Telefon kommen.«
    Adrià umklammerte den Hörer mit aller Kraft. Mit einem Mal wurde ihm die Kehle trocken. Er fand keine Worte. Als hätte Max seinen Zustand erraten, sagte er, es tut mir leid, Adrià. Ehrlich.
    »Danke, Max.«
    Er legte auf, und im selben Augenblick öffnete sich die Tür, und Laura kam herein. Sie schien überrascht, ihn dort anzutreffen. Schweigend ging sie zu ihrem Schreibtisch und wühlte einige Minuten in den Schubladen. Adrià hatte sich nicht gerührt, er starrte ins Leere, und die mitfühlenden Worte von Saras Bruder hallten wie ein Todesurteil in ihm nach. Nach einer Weile stieß er einen herzhaften Seufzer aus und sah Laura an.
    »Geht es dir gut?«, erkundigte sie sich und nahm ein paar dick gefüllte Mappen, wie sie sie immer mit sich herumschleppte.
    »Bestens. Ich lade dich zum Essen ein.«
    Ich weiß nicht, warum ich das sagte. Rache war es nicht. Ich habe das Gefühl, ich wollte Laura und der Welt beweisen, dass alles gut war, dass ich alles im Griff hatte.
    Adrià saß den blauen Augen und der makellosen Haut Lauras gegenüber und ließ die Hälfte seiner Nudeln auf dem Teller liegen. Sie hatten fast kein Wort gewechselt. Laura füllte sein Wasserglas, und er dankte ihr mit einer Geste.
    »Und wie läuft es so bei dir?«, fragte Adrià mit gewinnendem Lächeln, als wäre es an der Zeit, ein wenig zu plaudern.
    »Gut. Ich fahre für zwei Wochen an die Algarve.«
    »Wie schön. Todó ist ein bisschen überdreht, nicht?«
    »Warum?«
    Nach ein paar Minuten gelangten sie zu dem Schluss, ja, ein bisschen überdreht sei er wohl. Und du solltest lieber nicht so viel über mein Buch reden,

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