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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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und wer behauptet, sie nicht zu verstehen, macht sich verdächtig und wird schon noch erleben, wohin das führt. Raus!
    Zwei Minuten später liefen sie die Straße hinunter, die Schwiegermutter hustend und mit einem Geigenkasten im Arm, den ihre Tochter nach der Geigenstunde im Hausflur hatte stehen lassen; die Mädchen mit entsetztem Blick, meine Berta bleich und mit der kleinen Juliet auf dem Arm. Im Laufschritt ging es die Straße hinunter, denn die Soldaten hatten es offenbar sehr eilig, und hinter den Fenstern standen stumm die Nachbarn und sahen zu. Ich nahm Amelia bei der Hand, sie wurde an diesem Tag sieben und weinte, weil ihr der Stoß in den Nacken wehtat und die deutschen Soldaten ihr Angst machten, und die arme Trude mit ihren fünf Jahren bettelte, ich solle sie tragen, und ich nahm sie auf den Arm, und Amelia musste sich anstrengen, um mit uns Schritt zu halten, und erst als wir den Platz erreicht hatten, wo der Lastwagen stand, bemerkte ich, dass ich noch immer krampfhaft die blau-weiß karierte Serviette umklammerte.
    Es gab auch weniger Brutale, wie ich später hörte. Welche, die sagten, ihr könnt fünfundzwanzig Kilo Gepäck mitnehmen und habt eine halbe Stunde zum Packen, aber schnell! Und dann denkt man an all die Dinge, die es in einem Haus gibt. Was soll man mitnehmen? Mitnehmen wohin? Einen Stuhl? Ein Buch? Den Schuhkarton mit den Fotos? Geschirr? Glühbirnen? Die Matratze? Mama, was heißt schnell? Und wie viel sind fünfundzwanzig Kilo? Schließlich nimmt man den nutzlosen Schlüsselanhänger mit, der vergessen im Flur hängt, und wenn man überlebt hat und ihn nicht gegen einen Kanten schimmeliges Brot eintauschen musste, wird er zum geheiligten Symbol jenes glücklichen, normalen Lebens, das man vor der Tragödie geführt hat. Mutter, warum hast du die Geige mitgenommen? Sei still, erwiderte meine Schwiegermutter.
    So haben wir für immer unser Haus verlassen, begleitet vom Stampfen der Wehrmachtsstiefel; so habe ich mein Leben verlassen, mit meiner schreckensbleichen Frau, meinen zitternden Kindern, meiner kränklichen Schwiegermutter, ohne dass ich irgendetwas dagegen tun konnte. Wer hatte uns angezeigt, in unserem Viertel wohnten doch lauter Christen. Warum. Woher wussten sie es. Wieso konnten sie Juden wittern. Auf dem Lastwagen dachte ich, wer, wie und warum, um die Verzweiflung meiner Kinder nicht sehen zu müssen. Als sie uns in den Lastwagen pferchten, in dem schon vieleverängstigte Menschen kauerten, wurden meine wackere Berta mit der Kleinen und ich mit Trude zur einen Seite geschoben, die hustende Schwiegermutter zur anderen, und plötzlich schrie Berta, wo ist Amelia, Amelietje, Kind, wo bist du, bleib bei mir, Amelia, und eine kleine Hand kämpfte sich durchs Gedränge und packte mein Hosenbein, und die kleine Amelietje sah mich erschrocken an, zu Tode erschrocken, weil sie uns für einen Moment aus den Augen verloren hatte, bittend schaute sie zu mir auf, auch sie hätte sich gern in meine Arme geflüchtet, fragte aber nicht, weil Truu die Kleinere war, und diesen Blick habe ich nie vergessen, mein ganzes Leben nicht, den flehenden Blick meiner Tochter, der ich nicht helfen konnte, und ich werde in die Hölle kommen, weil ich meiner kleinen Tochter nicht geholfen habe. Und da mir sonst nichts einfiel, gab ich ihr die blau-weiß karierte Serviette, und sie nahm sie ganz fest in beide Hände und sah mich so dankbar an, als hätte ich ihr einen kostbaren Schatz geschenkt, einen Talisman, der sie immer und überall davor bewahren würde verloren zu gehen.
    Der Talisman wirkte nicht, denn nach dieser Fahrt auf dem rüttelnden Lastwagen und zwei, drei oder vier Tagen in einem stinkenden, verplombten Güterwaggon wurde mir Truu trotz meiner verzweifelten Proteste aus den Armen gerissen, ich bekam einen Schlag auf den Kopf, der mich halb betäubte, und danach war die kleine Amelia neben mir verschwunden; ich glaubte noch, sie rennen zu sehen, verfolgt von mehreren unablässig bellenden Hunden. Wo die kleine Juliet und Berta waren, wusste ich schon nicht mehr, nicht einmal einen letzten Blick hatten wir uns zuwerfen können, wenn auch nur, um in den Augen des anderen die stumme Verzweiflung zu sehen, in der unser hart erarbeitetes Glück endete. Und Bertas Mutter, die immerzu hustete und die Geige an sich drückte, und Trude, wo ist Truu, die ich mir hatte wegnehmen lassen. Ich habe sie nie wiedergesehen. Kaum dass man uns aus dem Zug geholt hatte, waren meine Liebsten für immer

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