Das Schweigen des Sammlers
Benediktinermönch, trat er in die Kapelle. Er kniete vor dem Altar nieder und umklammerte das Allerheiligste. Zum letzten Mal betrachtete er die Malereien in der Apsis. Die Propheten und Erzengel. Die Heiligen Petrus, Paulus und Johannes, die anderen Apostel und die Gottesmutter, wie sie gemeinsam mit den Erzengeln den strengen Pantokrator anbeteten. Und er fühlte sich schuldig, schuldig am Untergang des kleinen Klosters Sant Pere de Burgal. Mit der freien Hand schlug er sich an die Brust und sagte, confiteor, Dominus. Confiteor, mea culpa. Er stellte das Allerheiligste ab, beugte sich nieder und küsste den Boden, auf dem so viele Generationen von Mönchen gestanden und Gott den Allmächtigen gepriesen hatten, der ihm ungerührt zusah.
Er richtete sich auf, nahm das Allerheiligste wieder in die Arme, warf einen letzten Blick auf die heiligen Gemälde und ging rückwärts bis zur Tür. Als er draußen war, schlug er heftig die beiden Türflügel zu, drehte ein letztes Mal den Schlüssel im Schloss und legte ihn ebenfalls in das Allerheiligste. Kein menschliches Auge würde die geliebten Malereien an der Wand der Kapelle erblicken, bis Jachiam de Pardàc fast dreihundert Jahre später die Tür öffnete, indem er einfach mit der flachen Hand gegen einen der verwitterten, morschen Flügel drückte.
Und dann dachte Bruder Julià de Sau an den Tag, an dem er eilig, erschöpft und noch immer verängstigt das Tor von Sant Pere erreicht und mit der Faust dagegen geklopft hatte. Fünfzehn Mönche lebten damals innerhalb dieser Klostermauern. Mein Gott, Herr der Herrlichkeit, auch wenn er kein Recht hatte, sich eine Vergangenheit zurückzuwünschen, die er gar nicht selbst erlebt hatte, gedachte er doch wehmütig der Zeiten, als es noch eine Arbeit für jeden Mönch und einen Mönch für jede Arbeit gab. Als er an diese Tür klopfte und um Einlass bat, hatte er längst die Sicherheit verlassen und lebte seit Jahren im Reich der Angst, der steten Begleiterin des Flüchtigen. Erst recht, wenn dieser fürchten musste, sich geirrt zu haben, denn Jesus predigt uns Liebe und Güte, und ich hielt mich nicht an sein Gebot. Oder vielleicht doch, denn sein Oberer war Pater Nicolau Eimeric, der Großinquisitor, und alles geschah im Namen Gottes, der Kirche und des wahren Glaubens, und ich habe versagt, ich habe versagt, weil Jesus mir fern war; und wer seid Ihr, Fra Miquel, Tölpel von einem Laienbruder, dass Ihr Euch herausnehmt zu fragen, wo Jesus ist? Gott der Herr ist im blinden, bedingungslosen Gehorsam. Gott ist mit mir, Fra Miquel. Und wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich. Seht mir in die Augen, wenn ich mit Euch rede! Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich. Und Fra Miquel zog es vor zu fliehen, er zog die Unsicherheit und selbst die Hölle einer Erlösung vor, die sein Gewissen nicht zuließ. Und darum floh er, nahm die Dominikanerkutte mit und stürzte sich ins Reich der Angst. Er reiste ins Heilige Land, damit ihm seine Sünden vergeben würden, als ob es im Diesseits oder im Jenseits Vergebung geben könnte. Wenn er überhaupt gesündigt hatte. Als Pilger hatte er viel Leid gesehen, von Reue getrieben hatte er sich vorwärts geschleppt und schwer einzuhaltende Gelübde abgelegt, doch Frieden hatte er nicht gefunden, denn wenn du nicht der Stimme der Erlösung folgst, wird deine Seele niemals Ruhe finden.
»Nimm gefälligst die Hände weg!«
»Aber Vater …, ich möchte das Pergament doch nur berühren. Du hast gesagt, es gehört auch mir.«
»Mit diesem Finger. Und sei vorsichtig.«
Schüchtern näherte Adrià seine Hand und berührte mit ausgestrecktem Finger das Pergament. Er fühlte sich bereits wie im Inneren des Klosters.
»Schluss jetzt, das reicht, nicht, dass es Flecken bekommt.«
»Noch ein bisschen, Vater.«
»Ich sagte Schluss, kapiert?«, brüllte Vater. Und ich zog die Hand zurück, als hätte mir das Pergament einen elektrischen Schlag versetzt, und als der ehemalige Klosterbruder mit gealterter Seele, abgemagert, sonnenverbrannt und mit diamanthartem Blick von seiner Pilgerfahrt zurückkehrte, konnte er die Hölle in sich noch spüren. Er wagte nicht, zum Haus seiner Eltern zu gehen, falls diese noch am Leben waren; stattdessen streifte er in seinem Pilgerkleid durchs Land, bettelte um Almosen und gab sie in den Gasthäusern für die giftigsten Getränke aus, die er bekommen konnte, als wollte er so schnell wie möglich untergehen, um seinen Erinnerungen zu entfliehen. Auch verfiel er mit
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