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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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meine Brüder«, mischte sich einer der Begleitmönche, wahrscheinlich Fra Mateu, aufgeregt ein. »Wir sind hier, um den Schlüssel und das Allerheiligste von Sant Pere abzuholen und Bruder Julià nach Gerri zu bringen.«
    Bruder Julià, als erinnerte er sich erst jetzt wieder daran, reichte ihm das Allerheiligste, das er immer noch umklammert hielt.
    »Ihr braucht ihn nirgendwohin zu bringen«, sagte der mit der edlen Stirn barsch. Und zu Bruder Julià: »Ich irre mich nicht, und Ihr sollt wissen, wer Euch verurteilt hat.«
    »Ich bin Julià de Sau und, wie Ihr seht, Benediktinermönch.«
    »Fra Nicolau Eimeric hat Euch verurteilt. Er hat mir befohlen, Euch unbedingt seinen Namen zu nennen.«
    »Ihr irrt Euch.«
    »Fra Nicolau ist schon lange tot, aber ich lebe noch, und meine gepeinigte Seele wird nun endlich Ruhe finden. Im Namen Gottes.«
    Vor den entsetzten Augen der beiden Mönche aus Gerri sah der letzte Mönch von Sant Pere de Burgal, der ein neuer Mensch, ein anderer geworden war und nach jahrelangem Ringen inneren Frieden erlangt hatte, gerade noch den Dolch aufblitzen, bevor dieser sich im immer ungewisseren Licht der schwachen Wintersonne in seine Brust senkte. Er musste seinen alten Groll endgültig schlucken. Und gemäß der heiligen Weisung schnitt ihm der edle Ritter mit demselben Dolch die Zunge heraus und legte sie in ein Elfenbeinkästchen, das sich rot färbte. Und während er die Klinge mit trockenen Nussbaumblättern abwischte, sagte er mit lauter entschiedener Stimme zu den beiden erschütterten Mönchen: »Dieser Mann hat kein Recht auf geweihte Erde.«
    Er sah sich um, mit kaltem Blick, und wies auf das Gelände außerhalb des Klosters.
    »Da drüben. Und ohne Kreuz. Das ist der Wille des Herrn.«
    Als er sah, dass die beiden Mönche schreckensstarr stehen blieben, baute der Mann mit der edlen Stirn sich vor ihnen auf, wobei er fast auf Bruder Juliàs reglosen Körper trat, und fuhr sie verächtlich an: »Verscharrt dieses Aas!«
    Und nachdem Vater die Signatur des Abtes Delligat unter dem Dokument vorgelesen hatte, faltete er es sorgfältig zusammen und sagte, ein Pergament wie dieses in den Händen zu halten macht alte Zeiten wieder lebendig, findest du nicht auch?
    Daraufhin griff ich begierig nach dem Pergament, jetzt mit allen fünf Fingern. Der Schlag in den Nacken, den mir mein Vater versetzte, war schmerzhaft und sehr demütigend. Während ich mit den Tränen kämpfte, schob mein Vater ungerührt die Lupe zur Seite und schloss die Handschrift im Tresor ein.
    »Los, Abendessen«, sagte er, statt mit seinem Sohn, der mittelalterliches Latein lesen konnte, ein Bündnis zu besiegeln. Ehe ich ins Esszimmer trat, musste ich mir verstohlen zwei Tränen abwischen.

6
    In diese Familie hineingeboren zu werden war in der Tat ein unverzeihlicher Fehler. Und dabei hatte sich bisher noch gar nichts Gravierendes ereignet.
    »Also, ich mochte Herrn Romeu eigentlich.«
    Da sie glaubten, ich schliefe schon, sprachen sie ein wenig zu laut.
    »Du weißt überhaupt nicht, wovon du redest.«
    »Schon klar. Ich bin ein dummes Huhn. Und euer Dienstmädchen.«
    »Ich bin es, der sich für Adrià aufopfert!«
    »Und ich?«, fragte Mutter spöttisch, verletzt und fuhr dann leiser fort: »Und schrei gefälligst nicht so.«
    »Du bist doch diejenige, die schreit!«
    »Opfere ich mich etwa nicht auf für das Kind?«
    Zähes, schweres Schweigen. Man konnte Vaters Neuronen arbeiten hören.
    »Doch, du natürlich auch.«
    »Danke, dass du mir das zugestehst.«
    »Aber das heißt nicht, dass du recht hast.«
    Ich griff nach Sheriff Carson, weil ich ahnte, dass ich seelischen Beistand brauchen würde. Für alle Fälle rief ich auch nach Schwarzer Adler. Geräuschlos öffnete ich die Tür meines Zimmers einen Spalt. Ein riskanter Ausflug in die Küche, um ein Glas zu holen, war nicht nötig. Jetzt konnte ich sie viel besser hören. Schwarzer Adler beglückwünschte mich zu dem Einfall. Sheriff Carson sagte nichts und kaute etwas, das ich für Kaugummi hielt, das aber anscheinend Tabak war.
    »Also gut, soll er meinetwegen Geige lernen.«
    »Du scheinst dich ja für sehr großmütig zu halten.«
    »Was soll denn das jetzt?«
    »Also gut, soll er meinetwegen Geige lernen.« Zugegeben, Mutter äffte Vater sehr übertrieben nach. Aber ich freute mich.
    »Wenn du dich so aufführst, ist Schluss mit der Geige, und er widmet sich ernsthaften Dingen.«
    »Wenn du dem Jungen die Geige wegnimmst, wirst du mich

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