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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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diesem Tag an der einzige Zeuge der Geschichte des geschlossenen Klosters sein würde. An einem Ende des Strohsacks sein Bündel mit ein paar Kleidungsstücken, einer Art Schal und dem Stundenbuch. Und das Säckchen mit den Tannenzapfen und Ahornsamen, ein Andenken an ein anderes Leben, dem er nicht nachtrauerte, an die Zeit, als er noch Fra Miquel hieß und dem Dominikanerorden angehörte, und an die Frau des Scheelen aus Salt, die ihn im Palast Seiner Exzellenz des Großinquisitors vor der Küche angesprochen und gesagt hatte, nehmt, Fra Miquel, Samen von Pinien, Tannen und Ahorn.
    »Und was soll ich damit?«
    »Ich habe sonst nichts, was ich Euch geben könnte.«
    »Und warum solltest du mir etwas geben?«, fragte Fra Miquel ungeduldig.
    Die Frau senkte den Kopf und flüsterte fast unhörbar, Seine Exzellenz hat mich vergewaltigt, und ich will mich umbringen, denn sonst bringt mich mein Mann um, wenn er davon erfährt.
    Bestürzt musste Fra Miquel in den Flur gehen und sich auf die Buchsbaumbank setzen.
    »Was sagst du da?«, fragte er die Frau, die ihm gefolgt und vor ihm stehen geblieben war.
    Die Frau antwortete nicht, denn sie hatte bereits alles gesagt.
    »Ich glaube dir nicht, du elende Lügnerin. Du willst doch bloß …«
    »Wenn ich mich an einem wurmstichigen Balken aufgehängt habe, werdet Ihr mir dann glauben?« Jetzt sah sie ihn mit einem beängstigenden Blick an.
    »Aber Kind …«
    »Ich möchte, dass Ihr mir die Beichte abnehmt, weil ich vorhabe, mich umzubringen.«
    »Ich bin kein Priester.«
    »Aber Ihr könntet doch trotzdem … Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu sterben. Und weil ich nichts dafür kann, glaube ich, dass Gott mir vergeben wird. Das wird er doch, Fra Miquel?«
    »Selbstmord ist Sünde. Geh fort von hier. Verschwinde.«
    »Und wo soll ich hin, als Frau, allein?«
    Fra Miquel wünschte sich weit weg, ans Ende der Welt, so gefahrvoll es am wilden Rand des Universums auch sein mochte.
    In seiner Zelle in Sant Pere de Burgal betrachtete Bruder Julià auf seiner ausgestreckten Hand die Samen von der verzweifelten Frau, die er nicht zu trösten vermocht hatte. Am folgenden Tag war sie in der großen Scheune gefunden worden, wo sie an einem wurmstichigen Balken hing. Sie hatte sich mit dem Rosenkranz erhängt, den Seine Exzellenz als Gürtel für seine Kutte benutzte und der zwei Tage zuvor verschwunden war. Auf Weisung Seiner Exzellenz wurde der Selbstmörderin ein Grab in geweihter Erde verweigert und der Scheele aus dem Palast geworfen, weil er zugelassen hatte, dass seine Frau sich mit einer solchen Tat gegen den Himmel versündigte. Der Scheele aus Salt hatte sie am frühen Morgen selbst gefunden und in der irren Hoffnung, seine Frau könnte noch atmen, versucht, den Rosenkranz zu zerreißen. Als Fra Miquel davon erfuhr, weinte er bitterlich, betete entgegen dem Verbot seines Oberen für die Erlösung der verzweifelten Seele und schwor bei Gott dem Herrn, niemals diese Samen und diese Tannenzapfen zu verlieren, damit sie ihn für immer an sein feiges Schweigen erinnerten. Jetzt, zwanzig Jahre später, da sein Leben wieder eine Wende nehmen und ihn zu einem Mönch von Santa Maria de Gerri machen würde, legte er sie auf seine flache Hand und betrachtete sie aufs Neue.Dann verwahrte er sie in der Tasche seiner Benediktinerkutte. Er blickte aus dem Fenster. Möglicherweise waren sie schon ganz in der Nähe, aber er konnte auf größere Entfernungen nicht mehr gut sehen. Unordentlich schnürte er sein Bündel. Schon in dieser Nacht würde kein Mönch mehr im Kloster Sant Pere de Burgal schlafen.
    Das Allerheiligste fest im Arm, betrat er jede einzelne Zelle, die von Fra Marcel, die von Fra Martín, die von Bruder Adrià, die von Pater Ramon, die von Pater Basili, die von Pater Josep de Sant Bartomeu, und zuletzt noch einmal seine eigene bescheidene Zelle am Ende des schmalen Korridors, die dem winzigen Kreuzgang am nächsten lag und sich gleich neben dem Tor befand, dessen Hüter er seit seiner Ankunft im Kloster gewesen war. Danach schaute er noch ins Waschhaus, in den kleinen Kapitelsaal, in die Küche und noch einmal ins Refektorium, wo noch immer die Bank den Putz von der Wand schabte. Als er dann hinaus in den Kreuzgang ging, wurde der Schmerz übermächtig, und ein tiefes Schluchzen brach aus ihm heraus, weil er sich nicht damit abfinden konnte, dass dies der Wille Gottes sein sollte. Um sich zu fassen und endgültig Abschied zu nehmen von den vielen Jahren als

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