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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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der Liebe zum Wissen, ohne dass es ihn scherte, inwieweit sich das auf einer Linguisten-Konferenz unterbringen ließ. Zum Thema Linguistik sagte er nicht viel und umso mehr dazu, wie sich mir beim Nachdenken über das Leben der Tod in den Weg stellt. Und mit einem Mal war ihm der tief berührte, schweigsame Kamenek bei Saras Begräbnis wieder gegenwärtig. Nach einer langen Pause sagte er, und deshalb beschließt Foix sein Sonett mit den Worten: … und ich bewege mich durch die Jahrhunderte / Langsam wie der Fels vor dem dunklen Meer. Und schon waren die fünfzig Minuten vorbei, und er rannte sofort hinaus, um erst einmal ausgiebig zu pinkeln.
    Vor dem Abendessen, zu dem ihn das Organisationskomitee zum Dank eingeladen hatte, wollte Adrià, da er erst am folgenden Tag zurückfliegen würde, in Tübingen zwei Dinge erledigen. Allein. Im Ernst, Johannes, bitte. Ich möchte allein gehen.
    Bebenhausen. Es war gründlich restauriert. Noch immer fanden Führungen statt, aber niemand fragte den Fremdenführer mehr, was säkularisiert bedeutete. Er erinnerte sich fern an Bernat und dessen Bücher. Über zwanzig Jahre waren vergangen, und nichts hatte sich verändert, weder Bebenhausen noch Bernat. Und als es dämmerte, spazierte er über den Tübinger Friedhof, wie er es so oft getan hatte, allein, mitBernat, mit Sara … Er hörte das Geräusch seiner Schritte, ein trockenes, hartes Geräusch auf dem festen Lehmboden. Unwillkürlich nahm er den Weg zu dem leeren Grab von Franz Grübbe, dem allerletzten. Er sah Lothar Grübbe und seine Cousine Herta Landau aus Bebenhausen – die netterweise das Foto von Adrià und Bernat gemacht hatte –, wie sie noch immer Rosen dort niederlegten, so weiß wie die Seele ihres heldenhaften Sohnes und Neffen. Herta Landau hörte ihn kommen, drehte sich zu ihm um und versuchte, sich ihren Schrecken über sein Erscheinen nicht anmerken zu lassen.
    »Lothar …«, sagte sie mit vor Entsetzen versagender Stimme.
    Lothar Grübbe drehte sich um. Der SS-Offizier war vor ihnen stehen geblieben und wartete stumm ihre Erklärungen ab.
    »Ich reinige diese Grabstätten«, sagte Lothar Grübbe schließlich.
    »Ausweise«, herrschte Obersturmführer Adrian Hartbold-Bosch den alten Mann und die jüngere Frau an. Herta war so aufgeregt, dass sie ihre Handtasche nicht aufbekam. Lothar verhielt sich vor lauter Angst, als wäre ihm alles gleichgültig, als läge er endlich tot an deiner Seite, Anna, und an der Seite unseres tapferen Franz.
    »Ach je …«, rief er aus. »Ich habe meinen zu Hause gelassen.«
    »Ich habe meinen zu Hause gelassen, Obersturmführer!«, korrigierte ihn Obersturmführer Hartbold-Bosch.
    »Ich habe meinen zu Hause gelassen, Obersturmführer!«, wiederholte Lothar laut, und sah dem SS-Mann mit einem Anflug von Kampflust in die Augen. Der Offizier zeigte auf das Grab.
    »Was haben Sie am Grab eines Verräters zu schaffen?«
    »Er ist mein Sohn, Obersturmführer«, sagte Lothar und fügte hinzu, wobei er auf die schreckensstarre Herta wies: »Diese Frau kenne ich nicht.«
    »Mitkommen.«
    Das Verhör führte Obersturmführer Adrian Hartbold-Bosch persönlich. Womöglich stand dieser Lothar ja trotz seines hohen Alters mit der Gruppe des Überläufers Herbert Baum in Verbindung. Aber er ist ein alter Mann! (Fra Miquel) Alte und Kinder sind gleichermaßen gefährlich für die Sicherheit im Reich. Zu Befehl. (Fra Miquel) Quetscht alles aus ihm heraus, was er weiß. Mit allen Mitteln? Mit allen Mitteln. Fangt mit Schlägen auf die Fußsohlen an. Wie lange? Drei andächtige Avemarias lang. Und dann spannt ihr ihn für die Dauer eines Credo in unum Deum auf die Streckbank. Ja, Exzellenz.
    Herta Landau, die wie durch ein Wunder der Verhaftung entgangen war, verbrachte eine verzweifelte halbe Stunde damit, telefonisch nach Berlin durchzukommen, wo man sie informierte, wie sie es anstellen musste, um mit Auschwitz zu sprechen. Und eine gute Stunde später hörte sie Konrads Stimme:
    »Heil Hitler. Hallo?« Ungeduldig: »Ja, bitte?«
    »Konrad, hier ist Herta.«
    »Wer?«
    »Herta Landau, deine Cousine. Falls deine Familie für dich überhaupt noch existiert.«
    »Was gibt es?«
    »Lothar ist verhaftet worden.«
    »Welcher Lothar?«, fragte er unwirsch.
    »Lothar Grübbe, dein Onkel, wer denn sonst?«
    »Ah, der Vater von diesem Verräter Franz?«
    »Der Vater von Franz, ja.«
    »Und was willst du?«
    »Dass du dich erbarmst und etwas unternimmst. Sie werden ihn foltern und töten.«
    »Wer

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