Das Schweigen des Sammlers
könnten sich gestört fühlen.«
»Dann lasse ich sie eben daheim.«
»Du willst doch nicht etwa mit einem Mädchen zusammenziehen?«
»Ich habe keine Freundin.«
»Ich meine ja nur …«
Leicht ungehalten stand Llorenç auf. Adrià wollte ihn beschwichtigen:
»Entschuldige … Es geht mich überhaupt nichts an, ob du eine Freundin hast oder nicht.«
»Ich habe gesagt, ich habe keine Freundin, kapiert?«
»Ich hab’s ja gehört.«
»Ich habe einen Freund.«
Einige Sekunden der Verblüffung. Adrià brauchte eine Weile, bis er reagierte.
»Na gut. Weiß dein Vater davon?«
»Klar. Das ist Teil des Problems. Und wenn du ihm sagst, dass wir darüber gesprochen haben …, dann bringt er mich um und dich auch.«
»Mach dir keine Sorgen. Und tu, was du für richtig hältst, glaub mir.«
Als Llorenç den ersten Teil der Unterweisung seines lustlosen und ausgesprochen begriffsstutzigen Schülers im Umgang mit dem Computer für beendet erklärt hatte und die Treppe hinunterlief, dachte Adriá, wie leicht es doch sei, den Kindern anderer Ratschläge zu erteilen. Und plötzlich wünschte ich mir unbändig, wir hätten ein Kind gehabt, mit dem ich über sein Leben hätte reden können wie eben mit Llorenç. Woran liegt es, dass mein Freund und ich so wenig miteinander sprechen, dass ich nichts über seinen Sohn weiß?
Sie waren im Esszimmer, das Telefon klingelte unablässig, und Adrià hielt sich nur deshalb nicht entnervt die Ohren zu, weil Bernat bei ihm war und ihm gerade seinen Standpunkt darlegte. Um das Telefon zu übertönen, öffnete er die Balkontür und ließ den Verkehrslärm herein, der sich mit Kindergeschrei und dem Gurren der auf dem Balkon darüber balzenden Tauben vermischte. Er trat hinaus, und Bernat folgte ihm. Im fast dunklen Zimmer leuchtete die Westseite von Santa Maria de Gerri im Licht der hinter Trespui untergehenden Sonne.
»Mit so einer Veranstaltung tust du dir keinen Gefallen! Du bist seit zwölf Jahren Berufsmusiker.«
»Ich bin einundfünfzig. Das ist keine Leistung.«
»Immerhin spielst du im OBC!«
»Was?«
»Du spielst im Orquestra Simfònica de Barcelona i Nacional de Catalunya!«, wiederholte Adrià lauter.
»Na und?«
»Du gehörst dem Coma-Quartett an, Herrgott noch mal!«
»Als zweite Geige.«
»Immer musst du dich mit anderen vergleichen.«
»Was?«
»Du musst dich immer …«
»Lass uns lieber reingehen.«
Adrià ging wieder ins Zimmer, und Bernat kam hinter ihm her. Das Telefon klingelte weiter. Sie schlossen die Balkontür, und der Krach der Straße war kaum noch hörbar.
»Was hast du gesagt?«, fragte Bernat, den das hartnäckige Telefon nervös machte.
Adrià dachte, jetzt sagst du ihm, er solle seine Beziehung zu Llorenç einmal überdenken. Er leidet, ihr alle leidet, nicht wahr?
»Nichts, nur dass du dich immer mit anderen vergleichen musst.«
»Das glaube ich nicht. Und wenn es so wäre?«
Dein Sohn ist traurig. Du gehst genauso mit ihm um wie mein Vater mit mir, und das ist die Hölle.
»Ich habe das Gefühl, du weichst jedem Spritzer Glück aus, der dich treffen könnte.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Wenn du beispielsweise diese Lesung veranstaltest, riskierst du einen Reinfall. Und dann wirst du biestig. Und verdirbst deiner Umgebung die Laune gleich mit. Du solltest es bleiben lassen.«
»Ob ich es tue oder bleiben lasse, ist meine Entscheidung.«
»Wie du meinst.«
»Und warum hältst du es für keine gute Idee?«
»Weil du Gefahr läufst, dass keiner kommt.«
»Du Arschloch.« Er betrachtete die Autos durch das Fenster. »Sag mal, wieso gehst du eigentlich nicht ans Telefon?«
»Weil ich mich jetzt mit dir unterhalte«, log Adrià.
Er blickte auf Santa Maria de Gerri, ohne es wahrzunehmen. Dann ließ er sich in einen Sessel fallen und schielte zu seinem Freund hinüber. Jetzt bringe ich Llorenç zur Sprache, schwor er sich.
»Du würdest doch kommen, wenn ich die Lesung organisiere?« Bernat ließ sich nicht beirren.
»Ja.«
»Und Tecla. Und Llorenç. Damit hätte ich schon drei Zuhörer.«
»Ja: ich, Tecla und Llorenç, drei. Plus der unvermeidliche Gelehrte, vier. Und du, fünf. Bingo.«
»Sei nicht so gemein.«
»Wie geht es euch, Tecla und dir?«
»Es ist nicht das Paradies, aber es läuft einigermaßen.«
»Freut mich. Was macht Llorenç?«
»Gut, gut.« Er überlegte einen Augenblick, bevor er fortfuhr: »Tecla und ich sind gewissermaßen in einem Stadium instabiler Stabilität.«
»Wie meinst du das?«
»Nun
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