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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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sagte Adrià überrascht.
    »Ja.«
    »Und woher weißt du, dass ich dort einmal gespielt habe?«
    »Das hast du mir selbst erzählt.«
    Sollen wir ihm sagen, dass wir uns dort kennengelernt haben? Dank Maestro Castells und deiner Tante, von der ich den Namen nicht mehr weiß? Oder behalten wir das für uns?
    »Dort haben Sara und ich uns kennengelernt.«
    »Sag bloß! Oh, das ist aber schön«, sagte er und wies auf die Gardenien von Mignon.
    Tecla näherte sich Sara und legte ihr die Hand auf die Wange. Still streichelte sie sie eine Weile, während Bernat und ich so taten, als wäre alles in bester Ordnung. Adrià, der Riesenidiot, war noch gar nicht darauf gekommen. Wenn er wollte, dass Sara ihn spürte, musste er ihr Gesicht berühren und nicht ihre toten Hände. Sie sind nicht tot. Dann eben taub.
    Danach, als sie wieder allein waren, legte Adrià ihr die Hand auf die Wange, und sie schüttelte ihn mit einer sehr brüsken, stummen Kopfbewegung ab.
    »Du bist böse auf mich.«
    »Ich habe wichtigere Probleme, als böse auf dich zu sein.«
    »Verzeih.«
    Sie schwiegen. Der Boden unter unseren Füßen wurde immer schlüpfriger, und wir mussten uns vorsehen.
    Nachts, zu Hause, die Balkontüren weit geöffnet wegen der Hitze, geisterte Adrià durch die Wohnung und ärgerte sich über sich selbst, weil er vor lauter Kummer das Gefühl hatte, das Opfer wäre er. Ich hatte Mühe einzusehen, dass es in alldem nur ein Opfer gab: dich. Deshalb setzte ich mich zwei oder drei Tage später neben dich, nahm deine Hand, spürte ihre Empfindungslosigkeit, legte sie sacht an ihren Platz zurück, berührte mit den Fingerspitzen deine Wange und sagte, Sara, ich habe Maßnahmen eingeleitet, um die Geige ihren Besitzern zurückzugeben. Sie antwortete nichts auf meine halbwahre Aussage, wich meinen Fingern jedoch nicht aus. Nach fünf endlosen Minuten des Schweigens kam aus ihrem tiefsten Inneren eine dünne Stimme, die sagte, danke, und ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, besann mich aber rechtzeitig, weil ich wusste, dass ich in diesem Krankenzimmer nicht das Recht hatte zu weinen.
    »›Oder in einem Zustand, den ich nach meinem eigenen Ermessen für unwürdig erachte‹. Genau so steht es hier.«
    »Das sagt sich leicht.«
    »Nein, es ist so. Die Formulierung ist mir schwergefallen, aber so habe ich es verfügt. Und bestätige es jetzt im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte.«
    »Du bist nicht im Vollbesitz deiner geistigen Kräfte. Du bist deprimiert.«
    »Du verwechselst Rhabarber mit Quatember.«
    »Was?«
    »Ich bin geistig voll da.«
    »Du lebst. Du kannst weiterleben. Ich werde dir immer zur Seite stehen.«
    »Ich will nicht, dass du mir zur Seite stehst. Ich will, dass du tapfer bist und tust, worum ich dich bitte.«
    »Das kann ich nicht.«
    »Du bist ein Feigling.«
    »Ja.«
    Wir hörten Stimmen, die sagten, vierundfünfzig, hier ist es. Die Tür ging auf, und ich lächelte den Freunden aus Cadaqués entgegen, die unser Gespräch unterbrachen. Auch sie wussten das mit den Rosen.
    »Schau, wie schön, Sara«, sagte die Frau.
    »Sehr schön.«
    Sara lächelte schwach und war sehr höflich. Sie sagte ihnen, keine Sorge, es gehe ihr gut. Und die Freunde aus Cadaqués konnten sich nach einer halben Stunde wieder verabschieden, ein wenig beruhigt, denn beim Hereinkommen hatten sie nicht gewusst, was sie sagen sollten, so ein armes Ding.
    Viele Tage lang unterbrachen viele Besucher unser Gespräch, das sich immer um dasselbe drehte. Und zwei oder drei Wochen, nachdem Sara das Bewusstsein wiedererlangt hatte, bat sie mich eines Abends, als ich gerade nach Hause gehen wollte, das kleine Bild von Mignon vor sie zu stellen. Minutenlang schien sie es mit den Augen einzusaugen, ohne einen Lidschlag. Dann begann sie plötzlich zu weinen. Wahrscheinlich waren es diese Tränen, die mir wieder Mut gaben.

55
    Die Ausstellungseröffnung fand ohne dich statt. Die Galerie konnte sie nicht verschieben, weil die kommenden zwei Jahre bereits verplant waren, und Sara Voltes-Epstein würde sie ja ohnehin nie besuchen können, also zieht es durch, ihr könnt es mir ja hinterher erzählen. Man kann das Ganze doch aufzeichnen, oder?
    Wenige Tage vor der Vernissage rief Sara Max und mich zu sich und sagte, ich möchte noch zwei Zeichnungen hinzufügen.
    »Welche?«
    »Zwei Landschaften.«
    »Aber …«, Max war verblüfft. »Es ist doch eine Porträt-Ausstellung.«
    »Zwei Landschaften«, beharrte sie. »Porträts einer

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