Das Schweigen des Sammlers
nachdem er ihnen die unteren Äste abgesägt hatte. Er beklopfte sie mit der flachen Hand und horchte an ihnen, mit stummer Skepsis beobachtet von seinen erstaunten Männern. Als die Karren fertig waren, hatte Jachiam de Pardàc entschieden, welche der Tannen er zusätzlich zu dem Ahorn schlagen würde. Er war sicher, dass sie außergewöhnlich ebenmäßiges Holz hatten, und obwohl er seinen Beruf seit Jahren nicht ausübte, wusste er, dass dieses Holz sang. Jachiam verbrachte viele Stunden in der Apsis der kleinen Kirche und betrachtete die gravitätischen Malereien, als erzählten sie ihm unbekannte Geschichten. Die Propheten und Erzengel, den Heiligen Petrus, seinen Schutzpatron, die Heiligen Paulus und Johannes und die anderen Apostel um die Gottesmutter, wie sie gemeinsam mit den Erzengeln den strengen Pantokrator anbeteten. Und er fühlte keine Reue.
Dann begannen sie, den gefällten Baum zu zerlegen. Ja, der Stamm war gleichmäßig gewachsen, gezeichnet von der extremen und vor allem dauerhaften Kälte hier oben. Ein Baum, der Jahr für Jahr mit derselben Festigkeit weitergewachsen war. Mein Gott, was für ein Holz. Und unter dem immernoch zweifelnden Blick seiner Gehilfen betastete, beklopfte, beroch er den liegenden Stamm, bis er sicher war, welche Teile die guten waren. Er markierte zwei Stücke mit Kreide, das eine etwa zwölf, das andere etwa zehn Fuß lang. Die Stellen, wo das Holz am schönsten sang. Er ließ sie heraussägen, obwohl er wusste, dass nicht Januar und nicht Neumond war, der Zeitpunkt, zu dem man, wie allgemein bekannt, das Holz für eine gute Geige schlagen musste. Doch hatten die Muredas festgestellt, dass, mit Erlaubnis der Holzwürmer, ein wenig Harz das Holz frisch hielt, wenn es noch einen langen Weg vor sich hatte.
»Du willst mich wohl auf den Arm nehmen«, sagte Bernat.
»Wenn du meinst.«
Sie verstummten. Doch der Schüler, der falsch spielte, spielte so falsch, dass es schlimmer war zu schweigen. Darum sagte Adrià nach einer Weile: »Wenn du meinst, aber es ist doch lustiger, anzunehmen, dass die Geige über uns bestimmt, weil sie lebendig ist.«
Nachdem sie sich einige Tage ausgeruht hatten, nahmen sie den Ahorn in Angriff. Er war gewaltig, sicher an die zweihundert Jahre alt. Seine Blätter wurden bereits gelblich in Erwartung des ersten Schnees, der ihn schon nicht mehr bedecken würde. Jachiam wusste, dass das Holz direkt über der Wurzel am besten war, und so sägten sie knapp über dem Erdboden, obwohl die Männer fluchten, weil es ihnen zu anstrengend war. Er musste ihnen zwei weitere freie Tage vor der Rückreise versprechen. Sie sägten ihn ganz unten ab. So weit unten, dass Blond de Cazilhac aus irgendeinem Grund neugierig wurde und seine Spitzhacke zwischen die Wurzeln schlug.
»Komm, ich muss dir etwas zeigen«, sagte er und riss damit Jachiam aus seiner täglichen Betrachtung der geheimnisvollen Malereien in der Apsis.
Die Männer hatten den Baum fast ausgegraben. Zwischen den Wurzeln lagen Knochen, ein menschlicher Schädel mit ein paar Haaren und dunkle, von der Feuchtigkeit zerfressene Stofffetzen.
»Wer kommt denn auf die Idee, jemanden unter einem Baum zu begraben?«, rief einer der Männer aus.
»Das ist sehr alt.«
»Er wurde nicht unter dem Baum begraben«, sagte Blond de Cazilhac.
»Ach nein?« Jachiam sah ihn überrascht an.
»Siehst du denn nicht? Der Baum wächst aus dem Mann heraus, wenn es denn ein Mann ist. Er hat den Baum mit seinem Blut und seinem Fleisch ernährt.«
Ja. Als hätte der Baum im Inneren des Skeletts gekeimt. Und Adrià näherte sein Gesicht dem seines Vaters, damit er ihn ansah, damit er ihm antwortete: »Vater, ich will sie nur einmal spielen, um zu wissen, wie sie klingt. Ein paar Tonleitern. Nur ein kleines bisschen. Bitte, Vater …«
»Nein. Und nein heißt nein. Schluss jetzt«, sagte Fèlix Ardèvol und wich dem Blick seines Sohnes aus.
Und weißt du, was ich denke? Auch dieses Arbeitszimmer, meine Welt, ist wie eine Geige, weil es im Lauf seines Daseins verschiedene Personen beherbergt haben wird: meinen Vater, mich …, dich, denn dort hängt dein Selbstporträt, und wer weiß, wen noch, denn die Zukunft kann niemand voraussagen. Also nein. Nein heißt nein, Adrià.
»Weißt du denn nicht, dass nein ja bedeutet?«, würde Bernat viele Jahre später aufgebracht sagen.
»Schau mal«, sagte Vater in versöhnlichem Ton. Er forderte ihn auf, die Geige umzudrehen, und wies auf eine Stelle an der Rückseite des
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