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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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und schlug sich mit beiden Händen an die Stirn.
    »Ich habe seit Jahren nichts publiziert.«
    »Aber du hast nicht aufgehört zu schreiben, oder?«
    Schweigen. Adrià ließ nicht locker.
    »Es ist noch nicht lange her, da hast du öffentlich gesagt, dass du an einem Roman arbeitest. Ja oder nein?«
    »Noch so ein Reinfall. Ich habe es aufgegeben.« Er holte tief Luft und sagte: »Na los, was willst du?«
    Adrià nahm den Stoß und betrachtete ihn prüfend, als sähe er ihn zum ersten Mal. Dann blickte er Bernat an und reichte ihn ihm. Bernat erkannte, dass es lauter beidseitig beschriftete Blätter waren.
    »Es geht nur um die eine Seite.«
    »Die grün beschriebene?«
    »Ja.«
    »Und die andere?« Er las das oberste Blatt. »Die Frage des Bösen.«
    »Nichts. Nur Blödsinn. Das taugt nichts.« Adrià war sichtlich unbehaglich zumute.
    Leicht verwirrt überflog Bernat einige der mit grüner Tinte geschriebenen Seiten und versuchte, sich in die komplizierte Handschrift seines Freundes einzulesen.
    »Was ist das?«, sagte er schließlich und hob den Kopf.
    »Ich weiß nicht. Mein Leben. Mein Leben und andere Erfindungen.«
    »Und wieso … Diese Facette von dir kannte ich ja noch gar nicht.«
    »Ich weiß. Die kennt niemand.«
    »Soll ich dir sagen, was ich davon halte?«
    »Nein. Also, wenn du es mir sagen willst, großartig. Aber … ich bitte dich, ich flehe dich an, es in den Computer einzugeben.«
    »Benutzt du den, den ich dir gegeben habe, immer noch nicht?«
    Adrià machte eine entschuldigende Geste.
    »Immerhin habe ich Unterricht bei Llorenç genommen.«
    »Was nichts genützt hat.« Bernat schaute auf den Papierstapel. »Der grüne Teil hat keine Überschrift, wie ich sehe.«
    »Weil ich nicht weiß, wie es heißt. Vielleicht kannst du mir helfen.«
    »Bist du denn zufrieden damit?«, fragte Bernat und hob den Packen auf.
    »Es geht nicht darum, ob ich damit zufrieden bin oder nicht. Abgesehen davon ist es das erste Mal …«
    »Du überraschst mich.«
    »Ich überrasche mich selbst, aber ich musste es tun.«
    Adrià lehnte sich in seinem Sessel zurück. Bernat blätterte noch eine Weile und legte das Ganze wieder auf den Tisch.
    »Erzähl mir, wie es dir geht. Kann ich etwas tun, damit …«
    »Nein, danke.«
    »Aber wie fühlst du dich?«
    »Im Augenblick gut. Aber der Prozess ist nicht aufzuhalten. Kann sein, dass ich …«
    Adrià, unsicher, ob er weitersprechen sollte, blickte geradeaus andie Wand, wo ein Foto der beiden Freunde hing, beide mit Rucksäcken auf dem Rücken, Haaren auf dem Kopf und ohne Bauch: in Bebenhausen, als sie jung waren und noch in Kameras lächeln konnten. Und darüber, auf dem Ehrenplatz, das Selbstbildnis. Dann sagte er leise: »Kann sein, dass ich dich schon in ein paar Monaten nicht mehr erkenne.«
    »Nein.«
    »Doch.«
    »Scheiße.«
    »Ja.«
    »Und wie willst du dann zurechtkommen?«
    »Das erzähle ich dir gleich, immer mit der Ruhe.«
    »In Ordnung.« Bernat tippte mit dem Finger auf den Papierstoß. »Mach dir darum keine Sorgen. Werde ich deine Schrift lesen können? Weißt du schon, was du damit machen willst?«
    Adrià sprach ausführlich, fast ohne ihn anzusehen. Bernat kam er vor wie ein Büßer bei der Beichte. Als er verstummte, blieben sie lange Zeit still und ließen es draußen dunkel werden. Vielleicht dachten sie über ihr bewegtes Leben nach. Und an die Dinge, die sie sich nie gesagt hatten; und an die Momente, in denen sie sich beschimpft und gestritten hatten; und an die Phasen ihres Lebens, in denen sie sich nicht gesehen hatten. Und überlegten, warum das Leben immer mit einem unerwünschten Tod enden musste. Und Bernat dachte, für dich werde ich tun, was immer du von mir verlangst. Und Adrià wusste nicht recht, was er dachte. Und dann fing Bernats Handy in seiner Tasche an zu vibrieren, und er empfand das Geräusch in diesem Moment als pietätlos.
    »Was ist das?«
    »Nichts, nur mein Telefon. Wir normalen Menschen benutzen nämlich den Computer, den uns ein guter Freund schenkt. Und außerdem haben wir Handys.«
    »Dann geh doch dran, verdammt noch mal. Telefone sind dazu da, dass man drangeht.«
    »Nein, das ist sicher Tecla. Sie soll warten.«
    Und wieder verfielen sie in Schweigen und warteten darauf, dass das Summen aufhörte, das hartnäckig weiterging und zu einer Artungebetenem Gast in diesem stillen Zwiegespräch wurde, und Bernat dachte, das ist bestimmt Tecla, die einfach keine Ruhe geben kann. Doch schließlich brach das Summen ab. Und

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