Das Schweigen des Sammlers
Geiger?«, fragte mich Bernat.
»Nein.«
»Also, ich … Aber die Geige gehört mir«, bekräftigte er.
»Ich sage nicht, dass sie dir nicht gehört. Ich sage, dass du der Geige gehörst.«
»Du redest komisches Zeug.«
Sie verstummten. Drinnen hörten sie die Trullols einen Schüler anherrschen, der mit Hingabe falsch spielte.
»Katastrophal«, bemerkte Bernat.
»Ja.« Schweigen. »Wie heißt du?«
»Bernat Plensa. Und du?«
»Adrià Ardèvol.«
»Bist du für den Barça oder den Espanyol?«
»Barça. Und du?«
»Ich auch.«
»Sammelst du Bilder?«
»Ja, Autos.«
»Sag bloß! Hast du den Ferrari, den Dreiteiler?«
»Nein, den hat kein Mensch.«
»Meinst du, es gibt ihn überhaupt?«
»Mein Vater sagt nein.«
»Au Backe.« Verzweifelt: »Ist das wahr?«
Die beiden Jungen schwiegen und dachten an den Ferrari von Fangio, den man aus drei Sammelbildchen zusammensetzen musste, die womöglich gar nicht existierten, und ein Gefühl der Leere befiel sie. Die beiden Männer schwiegen ebenfalls und sahen zu, wie die Klostermauer dank Jachiams solider Einrüstung lotrecht in die Höhe wuchs. Nach einer langen Weile fragte der Mönch: »Und aus welchem Holz stellst du diese Musikinstrumente her?«
»Ich stelle sie nicht her, das habe ich noch nie getan. Ich habe das beste Holz dafür beschafft. Immer das beste. Die Instrumentenbauer von Cremona holten es sich bei meinem Vater und mir und vertrauten darauf, dass wir ihnen das richtige gaben. Wir verkauften im Januar bei Neumond geschlagenes Holz, wenn es nicht zu harzig sein sollte, oder im Hochsommer geschlagenes, wenn sie ein eher harmonisches, starkes Holz brauchten. Mein Vater hat mir beigebracht, wie man unter Hunderten von Bäumen den erkennen kann, der am schönsten singt. Ja, das habe ich von meinem Vater gelernt, und er von seinem Vater, der für die Amatis arbeitete.«
»Ich weiß nicht, wer das ist.«
Und so erzählte ihm Jachiam de Pardàc von seinen Eltern und seinen Geschwistern und von seiner Waldlandschaft an der Tiroler Grenze. Und von Pardàc, das die Leute weiter südlich Predazzo nennen. Und er fühlte sich erleichtert, als hätte er vor dem Laienbruder die Beichte abgelegt. Als hätte er ihm sein Geheimnis von Flucht und Gefahr enthüllt. Aber er fühlte sich nicht des Mordes schuldig, weil Bulchanij aus Moena ein gemeiner Mörder war, der aus purem Neid die Zukunft seiner Familie zerstört hatte, und er würde ihm den Bauch zehnmal aufschlitzen, wenn sich die Gelegenheit böte. Jachiam, der Unbußfertige.
»An was denkst du, Jachiam? Ich sehe Hass in deinen Augen.«
»Nein, ich bin traurig. Die Erinnerungen. Meine Geschwister.«
»Du hast gesagt, du hättest viele.«
»Ja. Erst waren wir acht Jungen, und als sie die Hoffnung auf ein Mädchen schon aufgegeben hatten, bekamen sie sechs davon.«
»Und wie viele leben noch?«
»Alle.«
»Das ist ein Wunder.«
»Nun ja: Theodor kann nicht laufen, Hermes ist nicht ganz richtig im Kopf, hat aber ein großes Herz, und Bettina, die Kleinste, meine geliebte Bettina, ist blind.«
»Die arme Mutter.«
»Sie ist tot. Sie starb bei der Geburt eines Jungen, der auch gestorben ist.«
Bruder Gabriel schwieg, vielleicht im Gedenken an die leidgeprüfte Frau, dann nahm er das Gespräch wieder auf.
»Du hast nicht gesagt, aus welchem Holz die Instrumente gemacht werden. Welches nimmt man?«
»Für gute Instrumente verbinden die Lautenbauer in Cremona mehrere Hölzer.«
»Und welche willst du mir nicht verraten.«
»Nein.«
»Das macht nichts. Ich finde es schon heraus.«
»Wie?«
Bruder Gabriel zwinkerte ihm zu und lief ins Kloster, da die Maurer und Bauarbeiter inzwischen vom Gerüst gestiegen waren. Nachdem sie den ganzen Tag lang Steine geklopft und den Pfad hinaufgeschleppt hatten, warteten sie nun hundemüde auf die Dunkelheit, ein wenig Nahrung und eine hoffentlich traumlose Nachtruhe.
»Irgendwann nehme ich die Storioni mit zum Unterricht.«
»Wehe dir. Wenn du das tust, kannst du was erleben.«
»Wozu haben wir sie dann?«
Vater legte die Geige auf den Tisch, stemmte die Hände in die Hüften und sah mich an.
»Wozu haben wir sie dann, wozu haben wir sie dann?«, äffte er mich nach.
»Ja.« Jetzt wurde ich wütend. »Wozu haben wir sie überhaupt, wenn sie immer in ihrem Kasten im Tresor liegt und wir sie nicht einmal ansehen können?«
»Ich habe sie, um sie zu haben. Verstehst du?«
»Nein.«
»Ebenholz, ein Baum, den es hier nicht gibt, und Spitzahorn.«
»Woher
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