Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
Vom Netzwerk:
egal, was im Laden oder zu Hause los war, kleidete sie sich ganz in Schwarz, ging hinunter zu der zuständigen Polizeidienststelle im Carrer de Llúria, fragte nach Kommissar Plasencia, der sie in sein Büro bat, wo es nach Tabakrauch stank, dass ihr schlecht wurde, und verlangte Gerechtigkeit für den toten Mann, der sie nie geliebt hatte. Und jedes Mal sagte sie guten Tag und fragte, ob es in der Mordsache Ardèvol etwas Neues gebe, und ohne ihr einen Stuhl anzubieten, erwiderte der Kommissar jedes Mal förmlich nein, Senyora. Ich darf Sie an unsere Abmachung erinnern, dass ich Sie benachrichtigen werde, sobald es Neuigkeiten gibt.
    »Man kann einen Mann doch nicht einfach köpfen und dann spurlos verschwinden.«
    »Bezichtigen Sie uns etwa mangelnder Kompetenz?«
    »Ich erwäge, mich an Ihre Vorgesetzten zu wenden.«
    »Ist das eine Drohung?«
    »Auf Wiedersehen, Herr Kommissar.«
    »Auf Wiedersehen, Senyora. Und seien Sie gewiss, dass wir Ihnen Bescheid geben, falls sich etwas ergibt.«
    Dann verließ die schwarze Witwe das Büro, der Kommissar zog ungehalten die obere Schreibtischschublade auf und schob sie wieder zu, und Inspektor Ocaña kam herein, ohne anzuklopfen, und sagte, schon wieder diese Nervensäge, und der Kommissar würdigte ihn keiner Antwort, obschon sie sich manchmal schieflachten über das komische Spanisch, das diese elegante Dame sprach. Und so ging das jeden Mittwoch, jeden Mittwoch, jeden Mittwoch. Jeden Mittwoch zur selben Stunde, zu der im Palacio del Pardo der Caudillo seine Audienz gab. Zur selben Stunde, zu der im Vatikan Papst Pius XII. seine Audienz gab, empfing Kommissar Plasencia eine schwarze Witwe, ließ sie reden, und sobald sie wieder draußen war, öffnete er wütend die obere Schublade seines Schreibtischs und stieß sie wieder zu.
    Als Senyora Ardèvol die Nase voll hatte, engagierte sie den besten Detektiv der Welt – so verhieß es zumindest die Broschüre in seinem Wartezimmer, das so winzig war, dass esJuckreiz verursachte. Der beste Detektiv der Welt verlangte einen Monat Vorauszahlung, einen Monat Geduld und einen Monat Moratorium für ihre Besuche im Kommissariat. Senyora Ardèvol zahlte, wartete und verzichtete auf die Besuche beim Kommissar. Und nach einem Monat wurde sie, nachdem sie zum zweiten Mal in dem beengten Vorraum gewartet hatte, vom immer noch besten Detektiv der Welt empfangen.
    »Nehmen Sie Platz, Senyora Ardèvol.«
    Der beste Detektiv der Welt war nicht aufgestanden, wartete aber ab, bis seine Klientin sich hingesetzt hatte, um sich in seinem Sessel wieder zu entspannen, den Schreibtisch zwischen ihnen.
    »Was gibt es?«, fragte sie gespannt.
    Als einzige Antwort trommelte der beste Detektiv der Welt eine Minute lang mit den Fingern auf die Tischplatte, vielleicht einem inneren Rhythmus folgend, vielleicht auch nicht, denn die Gedanken der besten Detektive der Welt sind unergründlich.
    »Also … Was gibt es?«, wiederholte meine Mutter mit einer bangen Vorahnung.
    Der andere machte Anstalten, eine weitere Minute mit den Fingern zu trommeln. Da räusperte sie sich, verschärfte ihren Ton, als hätte sie Senyor Berenguer vor sich, und fragte, warum haben Sie mich herbestellt, Senyor Ramis?
    Ramis. Der beste Detektiv der Welt hieß Ramis. Bis jetzt wollte mir der Name nicht einfallen. Bis jetzt, da ich dir das alles erzähle. Detektiv Ramis blickte seine Klientin an und sagte, ich lehne den Auftrag ab.
    »Was?«
    »Sie haben richtig gehört. Ich lehne den Auftrag ab.«
    »Aber Sie haben ihn doch gerade erst angenommen!«
    »Das war vor einem Monat, Senyora.«
    »Ich kann diese Entscheidung nicht akzeptieren. Ich habe bezahlt und ein Recht darauf …«
    »Wenn Sie sich den Vertrag anschauen«, schnitt er ihr das Wort ab, »werden Sie in der Anlage unter Absatz zwölf ein Kündigungsrecht für beide Seiten finden.«
    »Und aus welchem Grund?«
    »Ich bin überlastet.«
    Stille im Raum. Stille im ganzen Büro. Keine einzige Schreibmaschine, auf der Berichte getippt würden.
    »Das glaube ich Ihnen nicht.«
    »Wie bitte?«
    »Sie lügen mich an. Warum geben Sie auf?«
    Der beste Detektiv der Welt erhob sich, zog unter seiner Mappe einen Umschlag heraus und legte ihn vor meine Mutter.
    »Ich erstatte Ihnen das Honorar zurück.«
    Senyora Ardèvol sprang auf, warf einen verächtlichen Blick auf den Umschlag, und ohne ihn anzurühren, verließ sie mit laut hämmernden Absätzen das Büro und schlug heftig die Tür hinter sich zu. Befriedigt schloss sie aus

Weitere Kostenlose Bücher