Das Schweigen des Sammlers
mir blieb dieselbe, abgesehen davon, dass er sich von diesem Abend an das Recht anmaßte, mich zu beschimpfen, wann immer er es für angebracht hielt. Maestro Manlleu sprach nie mit mir über Musik. Wir sprachen lediglich über das Repertoire von Geigern und Namen wie Wieniawski, Nardini, Viotti, Ernst, Sarasate, Paganini und vor allem Manlleu, Manlleu und Manlleu, und am liebsten hätte ich gesagt, aber Meister, wann fangen wir endlich an, richtige Musik zu spielen? Allerdings wusste ich, dass ich damit ein Donnerwetter auslösen würde, das ich kaum unbeschadet überstanden hätte. Er redete von nichts anderem als vom Repertoire, seinem Repertoire. Der Haltung der Hände. Der Stellung der Füße. Der Kleidung, die man beim Üben tragen musste. Und wann die Füße die Sarasate-Sauret-Position einnehmen sollten, wann die Wieniawski-Wilhelmj-Position oder die Ysaÿe-Joachim-Position und wann die nur Auserwählten vorbehaltene Paganini-Manlleu-Position. Und du musst die Paganini-Manlleu-Position probieren, denn ich will dich zu einem Auserwählten machen, auch wenn duleider Gottes kein Wunderkind sein konntest, weil ich zu spät in dein Leben getreten bin.
Die Wiederaufnahme der Geigenstunden nach seiner Flucht aus dem Konzertsaal – und nachdem Senyora Ardèvol Maestro Manlleus Honorar kräftig angehoben hatte – war sehr hart für Adrià, denn anfangs verlief der Unterricht fast wortlos, im gekränkten Schweigen eines großen Genies, das sich bemüht, einen verwirrten, charakterschwachen Jungen zu einem kleinen Genie zu machen. Mit den Anweisungen und Korrekturen kehrte jedoch allmählich Manlleus gewohnte Beredtheit zurück, bis er eines Tages sagte, bring deine Storioni mit.
»Wozu, Maestro?«
»Ich möchte hören, wie sie klingt.«
»Da muss ich meine Mutter um Erlaubnis fragen.« Nach den schrecklichen Ereignissen war Adrià vorsichtig geworden.
»Sie wird es dir erlauben, wenn du ihr sagst, es sei mein ausdrücklicher Wunsch.«
Die Mutter wurde fuchsteufelswild und sagte, du bist wohl verrückt, was denkst du dir eigentlich?, du bleibst schön bei deiner Parramon. Adrià bedrängte sie noch eine Weile, bis sie sagte, wenn ich nein sage, heißt das nein. Und dann rückte er damit heraus, dass es sich um eine ausdrückliche Bitte Maestro Manlleus handelte.
»Das hättest du auch gleich sagen können«, erwiderte sie ernst. Sehr ernst, denn Mutter und Sohn befehdeten sich seit Jahren und stritten bei jeder Gelegenheit, bis Adrià eines Tages sagte, wenn ich volljährig bin, ziehe ich aus. Und sie: Wovon willst du denn dann leben? Und er: Von meiner Hände Arbeit, vom Erbe meines Vaters, was weiß ich. Und sie: Darüber solltest du dir klar sein, bevor du ausziehst.
Und am folgenden Freitag erschien ich mit der Storioni bei Maestro Manlleu. Dem ging es weniger darum, zu hören, wie sie klang, als vielmehr darum, sie zu vergleichen. Er spielte die Tarantelle von Wieniawski auf meiner Storioni, und sie klang wunderwunderschön. Anschließend offenbarte er mirein Geheimnis und zeigte mir mit leuchtenden Augen und gespannt auf meine Reaktion eine Guarneri von 1702, die Felix Mendelssohn persönlich gehört hatte. Er spielte darauf dieselbe Tarantelle, und sie klang wunderwunderschön. Mit triumphierender Miene sagte er, seine Guarneri klinge zehnmal besser als meine Storioni, und gab mir diese tief befriedigt zurück.
»Meister, ich will kein Geiger sein.«
»Sei still und üb weiter.«
»Meister, ich will nicht.«
»Was werden deine Konkurrenten sagen?«
»Ich habe keine Konkurrenten.«
»Junge«, sagte er und setzte sich in seinen Zuhörsessel. »Jeder, der in diesem Moment das Geigespielen auf höherem Niveau erlernt, ist dein Konkurrent. Und bestrebt, dich zu überflügeln.«
Und damit wandten wir uns wieder dem Vibrato, dem Vibrato plus Triller, der Harmonie, dem Martelé und dem Tremolo zu …, und ich wurde von Tag zu Tag trübsinniger.
»Mutter, ich will kein Geiger sein.«
»Sohn, du bist Geiger.«
»Ich will es aufstecken.«
Daraufhin organisierten sie mir einen Konzertauftritt in Paris. Damit du siehst, was für ein herrliches Leben dich als Geiger erwartet, mein Sohn.
»Als ich mein erstes Konzert gegeben habe«, erinnerte sich Maestro Manlleu, »war ich acht Jahre alt. Du musstest bis siebzehn warten. Einholen kannst du mich nicht mehr, aber du musst zusehen, dass du annähernd mein Format erreichst. Und ich helfe dir, das Lampenfieber zu überwinden.«
»Ich will aber kein Geiger
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