Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
Vom Netzwerk:
die Arme aus, als wollte er die ganze Wohnung umfassen. »Aber ich bin froh, wieder hier zu sein. Hier in meinem Viertel.«
    Er wies ihr die Richtung und überholte sie dann, um das Licht einzuschalten.
    »Ich glaube, unser Leben besteht aus einem Hinweg und einem Rückweg zu unseren Anfängen. Für jeden Menschen gibt es eine Rückkehr zu seinem Ursprung. Wenn ihm nicht der Tod dazwischenkommt.«
    Es war ein großer Raum, ursprünglich wohl als Esszimmer gedacht. Darin standen ein Sofa und ein Sessel vor einem runden Tischchen, zwei Notenständer mit Partituren, ein Schrank mit drei Instrumenten und ein Tisch mit einem Computer und einem Haufen Papier daneben. Regale voller Bücher und Partituren nahmen die ganze Stirnwand ein. Es wirkte wie die Quintessenz von Bernats Leben.
    Xènia öffnete ihre Tasche, holte ein Aufnahmegerät heraus und stellte es vor Bernat auf.
    »Wie du siehst, bin ich noch nicht fertig eingerichtet, aber das hier soll das Wohnzimmer werden.«
    »Es ist doch schon recht gemütlich.«
    »Tecla, das Biest, hat mich nicht ein Möbelstück mitnehmen lassen. Das hier ist alles von Ikea. Ikea-Möbel, in meinem Alter! Moment, nimmst du etwa schon auf?«
    Xènia schaltete den Rekorder aus. In einem Ton, den er noch nicht an ihr kannte, sagte sie: »Willst du über dein Biest von Ehefrau oder über deine Bücher reden? Damit ich weiß, ob ich den Apparat einpacken oder laufen lassen soll.«
    In der folgenden Stille hätte man seine eigenen Schritte gehört. Nur, dass sie in keiner einsamen Gasse unterwegs waren. Bernat hatte Herzklopfen und kam sich sehr albern vor. Er wartete, bis das Röhren eines den Carrer de Llúria hinauffahrenden Motorrades verklungen war.
    »Touché.«
    »Ich kann kein Französisch.«
    Beschämt ging Bernat aus dem Zimmer. Er kam mit einer Wasserflasche zurück, wie sie noch nie eine gesehen hatte. Und mit zwei Ikea-Gläsern.
    »Regenwasser aus Tasmanien. Es wird dir schmecken.«
    Eine halbe Stunde lang plauderten sie ganz allgemein über seine Erzählungen und den Schaffenssprozess und waren sich einig, dass der dritte und vierte Band die besten seien. Einen Roman? Nein, nein, ich bevorzuge die Kurzstrecke. So gewann er zunehmend seine Gelassenheit zurück und gestand, wie peinlich es ihm sei, so aus der Haut gefahren zu sein, als von seiner widerlichen Exfrau die Rede war, aber es sei halt alles noch sehr frisch, und er könne es einfach nicht verwinden, dass Tecla, obwohl er Unsummen für den Anwalt bezahlt habe, in beinahe allem recht bekommen habe, und das geht mir nun einmal nicht aus dem Kopf, und es tut mir leid, dich damit behelligt zu haben, aber daran siehst du, dass wir Schriftsteller, wir Künstler im Allgemeinen, auch nur Menschen sind.
    »Daran habe ich nie gezweifelt.«
    »Touché pour la seconde fois.«
    »Ich habe dir doch gesagt, dass ich kein Französisch kann. Möchtest du vielleicht etwas über die Enstehung deiner Werke sagen?«
    Es wurde ein langes Gespräch. Bernat berichtete ihr, wie er vor vielen, vielen Jahren ohne jede Eile angefangen hatte zu schreiben. Es dauert lange, bis ich mit einem Buch zufrieden bin. Für Plasma habe ich gut drei Jahre gebraucht.
    »Im Ernst?«
    »Ja. Es entwickelte sich ganz von allein. Wie soll ich es dir erklären …?«
    Schweigen. Sie hatten zwei Stunden geredet und das tasmanische Regenwasser ausgetrunken. Xènia hatte ihm selbstvergessen zugehört. Noch immer hörte man vereinzelte Autos den Carrer de Llúria hinauffahren. Er fühlte sich wohl; es war das erste Mal seit vielen Monaten, dass Bernat sich zu Hause wohlfühlte, weil jemand da war, der ihm zuhörte und nicht herummäkelte, wie es der arme Adrià ein Leben lang getan hatte.
    Schlagartig spürte er, wie ihn die Anspannung des stundenlangen Gesprächs erschöpft hatte. Du wirst doch nicht etwa alt.
    Xènia richtete sich in dem Ikea-Sessel auf und streckte die Hand aus, um den Rekorder abzuschalten, hielt aber auf halbem Weg inne. »Jetzt würde ich gern noch auf … auf die Spaltung deiner Persönlichkeit in einen Musiker und einen Schriftsteller eingehen.«
    »Bist du denn nicht müde?«
    »Doch. Aber ich habe schon lange kein Interview mehr geführt, das so … so …«
    »Vielen Dank. Aber wir sollten es auf morgen vertagen. Ich bin …«
    Er wusste, dass er den Zauber des Augenblicks gebrochen hatte, aber es ließ sich nicht ändern. Ein paar Minuten saßen sie noch stumm da, während sie ihre Sachen einpackte und beide überlegten, ob dies der richtige

Weitere Kostenlose Bücher