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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Zeit haben, nachzudenken.
    »Ja, dann ...«, sagte der Archivar, als sich die Tür des
    Aufzuges in der ersten Etage öffnete.
    »Danke für die Hilfe«, sagte Ketola.
    »Gerne«, sagte der Archivar, verabschiedete sich noch
    mit der Andeutung eines unbeholfenen Winkens und
    kehrte an seinen Arbeitsplatz zurück, während Ketola
    und Joentaa in den Dritten fuhren.
    Ketola setzte sich an seinen Schreibtisch, betrachtete
    wieder abwechselnd das klare Blau auf seinem Bild-
    schirm, das seiner Einschätzung nach jeder anderen Art
    von Hintergrundbild vorzuziehen war, und die von
    Schnee bedeckte Fensterscheibe. Kimmo saß ihm ge-
    genüber und schwieg beharrlich, vermutlich aus Rück-
    sicht oder weil er intensiv darüber nachdachte, was zum
    Teufel mit ihm, Ketola, los war.
    »Heute so gesprächig?« fragte Ketola, und sicher war,
    dass er sich an keinem seiner Arbeitstage so entspannt
    und zu Scherzen aufgelegt gefühlt hatte wie an diesem,
    seinem letzten.
    »Mir fiel auf, dass du die Frage nach dem roten Auto
    nicht beantwortet hattest, deswegen dachte ich, dass du
    vielleicht über die Sache nicht reden möchtest.«
    Natürlich. Schön den Finger in die Wunde. Und da-
    bei immer rücksichtsvoll. Er würde Kimmo vermissen.
    »Wir haben den Wagen nie gefunden. Ein Zeuge
    hatte ihn gesehen, ein kleiner Junge. Damals natürlich,
    der wird inzwischen natürlich auch... in den Vierzigern
    sein ... witzig irgendwie. Aber die ganze Sache hat ei-
    gentlich keine Bedeutung ... ich weiß auch nicht, was
    das soll, ich habe seit Jahrzehnten nicht an dieses Mäd-
    chen gedacht ... und an die Mutter ...«
    »Die Mutter des ermordeten Mädchens?«
    »Ja, ja ... das war ... ein besonderes Erlebnis, könnte
    man wohl sagen ... der Frau diese Nachricht zu über-
    bringen, ich hatte ja erst ein paar Monate vorher ange-
    fangen, hier zu arbeiten.«
    Kimmo nickte, und Ketola winkte ab, um das Ge-
    spräch zu beenden, er wollte nicht zum guten Schluss
    noch redselig werden.
    »Weißt du eigentlich, wie das hier heute so ablaufen
    soll?« sagte er stattdessen.
    Kimmo sah ihn fragend an.
    »Ich meine, die Verabschiedung. Ist ja mein letzter
    Tag heute, ha.« Langsam nahmen die Scherze überhand,
    fand er, aber nur vielleicht.
    »Wir haben ... ein paar Sachen vorbereitet«, sagte
    Kimmo.
    »Ach was.«
    »Lass dich überraschen«, sagte Kimmo und lächelte
    sogar.
    Dann saßen sie wieder schweigend, Kimmo ordnete
    Unterlagen, die Ketola nichts mehr angingen, Ketola sah
    aus dem Fenster, nachdem er die Scheibe zwischenzeit-
    lich vom Schnee befreit hatte. Er sah also dem Schnee
    dabei zu, wie er von neuem die Scheibe zu bedecken be-
    gann, und suchte ein letztes Mal nach dem entscheiden-
    den Impuls, Kimmo auf den Tod seiner Frau anzuspre-
    chen und ihn zu fragen, wie es ihm inzwischen gehe,
    aber natürlich ließ er es bleiben, weil es ganz einfach lä-
    cherlich gewesen wäre, und dann betrat ohnehin Tuo-
    mas Heinonen den Raum und bat Kimmo, mal mitzu-
    kommen, weil sie doch etwas vorzubereiten hätten.
    Augen zwinkernd. Offensichtlich war jetzt auch Heino-
    nen verrückt geworden.
    Also saß er da, ohne etwas Spezielles zu denken,
    nahm ab und an Telefonate entgegen, die sich als weni-
    ger wichtig erwiesen, und gegen Mittag klopfte Nur-
    meia an die Tür und trat ein, mit einer Kochmütze und
    einer Schürze bekleidet, und ein riesiges Tablett balan-
    cierend.
    Und Nurmeia folgte die ganze Belegschaft, es waren
    tatsächlich alle da, sogar Petri Grönholm war zu Ketolas
    Abschied gekommen, obwohl Grönholm seit einigen
    Tagen mit Grippe krank geschrieben war.
    Es gab Würstchen in Tomatensoße, Ketolas Lieb-
    lingsessen. Nurmeia tischte bestens gelaunt auf, Kari
    Niemi, der Chef der Spurensicherung, schenkte Sekt
    aus, ebenfalls bestens gelaunt, aber das war im Falle Nie-
    mis ja nichts Besonderes, sein Nachfolger Sundström
    brillierte mit ganz besonders sinnlosen Kalauern, und
    die ganze Belegschaft sang den finnischen Schlager, den
    Ketola in den vergangenen Jahren öfters mal – »immer,
    mein Lieber, ständig«, insistierte Nurmeia – gesummt
    haben musste, wenn er nachgedacht hatte oder den Ein-
    druck erweckt hatte, nachzudenken.
    Der Vortrag des Liedes war sehr gut, die Kollegen
    hatten das offensichtlich einstudiert, und Ketola war
    gerade dabei, sich zu fragen, wann sie geprobt haben
    konnten, als Nurmeia zum guten Schluss seine mit
    Spannung erwartete Rede zu halten begann, und anstatt
    einzuschlafen, was er ja ursprünglich

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