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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Geste.
    »Wir sehen uns«, sagte Ketola zu Kimmo Joentaa. Er
    schien es eilig zu haben, ins Haus zu kommen, bevor
    Joentaa noch dazu kam, irgendwelche Fragen zu stellen,
    wendete sich aber noch mal um. »Und ... habt ihr schon
    was Neues? Kann ich bei dir anrufen? Heute Abend ...
    oder morgen Vormittag? Ginge das?«
    »Natürlich«, sagte Joentaa. »Du solltest dich auch bei
    Sundström melden, er möchte mit dir sprechen und
    dich in die Arbeit einbinden, ich hatte ihm gesagt, dass
    du das auch selbst vorgeschlagen hast.«
    »Ja ... sehr gut, das freut mich. Dann sehen wir uns ...
    ich melde mich ...«, sagte Ketola.
    »Zwei komische Polizisten«, sagte Elina Lehtinen leise
    und runzelte kaum merklich die Stirn.
    »Tja ...«, sagte Joentaa.
    Während er zu seinem Wagen ging, dachte er, dass
    Elina Lehtinen eine sympathische Frau war und dass
    ihm Ketola ganz sicher immer ein Rätsel bleiben würde.

    4

    Gegen Mittag kam Timo Korvensuo in Turku an, aber
    er setzte seine Fahrt fort. Er fuhr um die Stadt herum. Im Kreis. Immer wieder. Er empfand es als wichtig, in Bewegung zu bleiben. Er sah aus verschiedenen Perspektiven
    den Dom, der in den Himmel hineinragte. Die Fakultät
    für Mathematik war damals, als er hier gelebt hatte, ganz
    in der Nähe gewesen, und ab und zu hatte er in den Pau-
    sen oder am Abend eine Weile im Dom gesessen, in der
    Kälte, ohne etwas Bestimmtes zu denken.
    Er fuhr im Kreis, immer und immer wieder, bis gegen
    Nachmittag die Benzinanzeige rot aufblinkte. Er steu-
    erte eine Tankstelle an und fuhr anschließend auf direk-
    tem Weg ans Ziel.
    Er kannte den Weg. Über die Schnellstraße Richtung
    Tampere in den kleinen, von hohen Bäumen umringten
    Vorort.
    Der Rasen am Straßenrand war gelb und trocken. Der
    Supermarkt stand, wo er gestanden hatte, nur das
    Schild hatte eine andere Farbe und trug das Logo einer
    bekannten Kette. Im Nebengebäude war ein Kiosk,
    früher war dort die einzige Kneipe am Ort gewesen. Er
    fuhr langsam vorüber, sein Blick streifte fremde Ge-
    sichter.
    Auch der Sportplatz war noch da. Die Laufbahn
    schien neu zu sein, das Rot stach in seine Augen. Auf
    dem Rasenplatz kickten drei Jungen auf ein Tor. Die
    Schwimmhalle dahinter fehlte. Es gab sie nicht mehr,
    und es gab auch sonst nichts. Ersatzlos gestrichen. Die
    Schwimmhalle war eine Asphaltfläche, auf der Autos
    geparkt werden durften.
    Korvensuo spürte ein Stechen im Magen und für Se-
    kunden ein vages Gefühl von Erleichterung. Er war öf-
    ters dort gewesen, an Winterabenden, weil Susanna, das
    Mädchen aus dem Nachbarhaus, dort trainiert hatte. Sie
    hatte immer einen grünen Badeanzug getragen und ihn
    manchmal angelächelt, weil sie ja in der selben Wohn-
    anlage wohnten, und er hatte am Rand des Beckens ge-
    lehnt, das kälter werdende Wasser an seinen Beinen ge-
    spürt und sich möglichst unauffällig die Augen aus dem
    Kopf gestarrt.
    Er erinnerte sich genau daran. Es war die Zeit gewe-
    sen, in der alles begonnen hatte, was auch immer es ge-
    wesen war, wobei er den eigentlichen Beginn nicht be-
    nennen konnte, den genauen Zeitpunkt, vermutlich gab
    es keinen. Keinen Beginn und kein Ende. Und keinen
    Grund. Keinen, den irgend jemand hatte begreifen kön-
    nen, keinen, den er selbst begriff. Es gab nichts derglei-
    chen, und dieses Schwimmbad, in dem Susanna, das
    Mädchen aus dem Nachbarhaus, geschwommen war,
    gab es auch nicht mehr.
    Die Jungen auf dem Fußballplatz stritten sich wegen
    des Spielstands. Korvensuo stieg wieder ein und ließ
    den Wagen im Leerlauf den Abhang hinabrollen.
    Er passierte die Bushaltestelle.
    Dann bog er links ab in die schmale Auffahrt zu dem
    Haus, in dem er gewohnt hatte.
    Alles, was er während der Fahrt überlegt hatte, war
    hinfällig. Den Wagen etwas früher abzustellen, in siche-
    rer Entfernung. Erst am Abend zu kommen, im Schutz
    der Dunkelheit, die ohnehin nur eine schwache Däm-
    merung sein würde. Ein mühseliges, Stunden andau-
    erndes, nie ganz abgeschlossenes Dahinschwinden von
    Sonnenlicht.
    Es war hinfällig, er dachte gar nicht mehr daran. Er
    zitterte und fühlte sich gleichzeitig vollkommen ruhig.
    Einen roten Kleinwagen sah er nicht. Natürlich nicht. Er
    stieg aus, die Sonne wärmte und verursachte Gänsehaut
    auf seinem Rücken. Der Container für den Abfall stand,
    wo er gestanden hatte. Allerdings waren es inzwischen
    mehrere Container. Mülltrennung. Ein Mann mittleren
    Alters warf gerade Flaschen hinein. Er trug eine Jogging-
    hose. Die

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