Das Schweigen
Geste.
»Wir sehen uns«, sagte Ketola zu Kimmo Joentaa. Er
schien es eilig zu haben, ins Haus zu kommen, bevor
Joentaa noch dazu kam, irgendwelche Fragen zu stellen,
wendete sich aber noch mal um. »Und ... habt ihr schon
was Neues? Kann ich bei dir anrufen? Heute Abend ...
oder morgen Vormittag? Ginge das?«
»Natürlich«, sagte Joentaa. »Du solltest dich auch bei
Sundström melden, er möchte mit dir sprechen und
dich in die Arbeit einbinden, ich hatte ihm gesagt, dass
du das auch selbst vorgeschlagen hast.«
»Ja ... sehr gut, das freut mich. Dann sehen wir uns ...
ich melde mich ...«, sagte Ketola.
»Zwei komische Polizisten«, sagte Elina Lehtinen leise
und runzelte kaum merklich die Stirn.
»Tja ...«, sagte Joentaa.
Während er zu seinem Wagen ging, dachte er, dass
Elina Lehtinen eine sympathische Frau war und dass
ihm Ketola ganz sicher immer ein Rätsel bleiben würde.
4
Gegen Mittag kam Timo Korvensuo in Turku an, aber
er setzte seine Fahrt fort. Er fuhr um die Stadt herum. Im Kreis. Immer wieder. Er empfand es als wichtig, in Bewegung zu bleiben. Er sah aus verschiedenen Perspektiven
den Dom, der in den Himmel hineinragte. Die Fakultät
für Mathematik war damals, als er hier gelebt hatte, ganz
in der Nähe gewesen, und ab und zu hatte er in den Pau-
sen oder am Abend eine Weile im Dom gesessen, in der
Kälte, ohne etwas Bestimmtes zu denken.
Er fuhr im Kreis, immer und immer wieder, bis gegen
Nachmittag die Benzinanzeige rot aufblinkte. Er steu-
erte eine Tankstelle an und fuhr anschließend auf direk-
tem Weg ans Ziel.
Er kannte den Weg. Über die Schnellstraße Richtung
Tampere in den kleinen, von hohen Bäumen umringten
Vorort.
Der Rasen am Straßenrand war gelb und trocken. Der
Supermarkt stand, wo er gestanden hatte, nur das
Schild hatte eine andere Farbe und trug das Logo einer
bekannten Kette. Im Nebengebäude war ein Kiosk,
früher war dort die einzige Kneipe am Ort gewesen. Er
fuhr langsam vorüber, sein Blick streifte fremde Ge-
sichter.
Auch der Sportplatz war noch da. Die Laufbahn
schien neu zu sein, das Rot stach in seine Augen. Auf
dem Rasenplatz kickten drei Jungen auf ein Tor. Die
Schwimmhalle dahinter fehlte. Es gab sie nicht mehr,
und es gab auch sonst nichts. Ersatzlos gestrichen. Die
Schwimmhalle war eine Asphaltfläche, auf der Autos
geparkt werden durften.
Korvensuo spürte ein Stechen im Magen und für Se-
kunden ein vages Gefühl von Erleichterung. Er war öf-
ters dort gewesen, an Winterabenden, weil Susanna, das
Mädchen aus dem Nachbarhaus, dort trainiert hatte. Sie
hatte immer einen grünen Badeanzug getragen und ihn
manchmal angelächelt, weil sie ja in der selben Wohn-
anlage wohnten, und er hatte am Rand des Beckens ge-
lehnt, das kälter werdende Wasser an seinen Beinen ge-
spürt und sich möglichst unauffällig die Augen aus dem
Kopf gestarrt.
Er erinnerte sich genau daran. Es war die Zeit gewe-
sen, in der alles begonnen hatte, was auch immer es ge-
wesen war, wobei er den eigentlichen Beginn nicht be-
nennen konnte, den genauen Zeitpunkt, vermutlich gab
es keinen. Keinen Beginn und kein Ende. Und keinen
Grund. Keinen, den irgend jemand hatte begreifen kön-
nen, keinen, den er selbst begriff. Es gab nichts derglei-
chen, und dieses Schwimmbad, in dem Susanna, das
Mädchen aus dem Nachbarhaus, geschwommen war,
gab es auch nicht mehr.
Die Jungen auf dem Fußballplatz stritten sich wegen
des Spielstands. Korvensuo stieg wieder ein und ließ
den Wagen im Leerlauf den Abhang hinabrollen.
Er passierte die Bushaltestelle.
Dann bog er links ab in die schmale Auffahrt zu dem
Haus, in dem er gewohnt hatte.
Alles, was er während der Fahrt überlegt hatte, war
hinfällig. Den Wagen etwas früher abzustellen, in siche-
rer Entfernung. Erst am Abend zu kommen, im Schutz
der Dunkelheit, die ohnehin nur eine schwache Däm-
merung sein würde. Ein mühseliges, Stunden andau-
erndes, nie ganz abgeschlossenes Dahinschwinden von
Sonnenlicht.
Es war hinfällig, er dachte gar nicht mehr daran. Er
zitterte und fühlte sich gleichzeitig vollkommen ruhig.
Einen roten Kleinwagen sah er nicht. Natürlich nicht. Er
stieg aus, die Sonne wärmte und verursachte Gänsehaut
auf seinem Rücken. Der Container für den Abfall stand,
wo er gestanden hatte. Allerdings waren es inzwischen
mehrere Container. Mülltrennung. Ein Mann mittleren
Alters warf gerade Flaschen hinein. Er trug eine Jogging-
hose. Die
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