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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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nach Hause, dachte er.
    »Warum hast du das gemacht, du Sau!!!« schrie er und
    warf die Flasche auf den Sonnenfleck vor seinen Füßen.
    Mit voller Wucht. Danach herrschte Stille. Die Scherben
    lagen über den Raum verteilt. Ein Rinnsal aus Bier be-
    wegte sich auf Pärssinens Schuhe zu. Pärssinen saß ent-
    spannt.
    »Ich habe nichts gemacht«, sagte er.
    Korvensuo starrte ihn an.
    »Setz dich doch wieder«, sagte Pärssinen. »Bitte.«
    Korvensuo setzte sich auf die Lehne des Sessels.
    »Ich habe damit nichts zu tun«, sagte Pärssinen. »Ich
    habe es überhaupt erst gestern Abend erfahren. Durch
    Zufall. Ich gucke selten Nachrichten ... ich interessiere
    mich nicht für den ganzen Scheiß, der passiert. Das ist
    doch alles Mist, der ganze korrupte Scheiß.«
    »Aha«, sagte Korvensuo.
    »Ich habe Besseres zu tun«, sagte Pärssinen und
    winkte ab und führte wieder die Flasche zum Mund.
    Korvensuo dachte an Marjatta und die Kinder. Mar-
    jatta machte einen Spaziergang, die Kinder fuhren im
    Ruderboot. Laura ruderte, und Aku hielt eine Hand ins
    Wasser.
    »Ja ...«, sagte er und sah Pärssinen entspannt in einem
    Sessel sitzen. Damals war es anders gewesen. An dem
    Tag, an dem ... Pärssinen völlig aufgelöst, panisch, wie
    er ihn nicht gekannt hatte.
    »Ja ...«, sagte er noch einmal.
    »Verstehst du? Ich habe nichts damit zu tun. Und du
    auch nicht, ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen,
    dass du ... es ist einfach ... ein Zufall ...«
    »Ein Zufall?«
    »Ja, ein Zufall. Irgendwas ist passiert. Wir wissen
    nicht, was. Wir haben nichts damit zu tun. Und es inte-
    ressiert uns nicht.«
    Korvensuo nickte.
    »Du hast nichts damit zu tun. Ich habe nichts damit
    zu tun. Verstehst du? Timo, unseres ... was wir gemacht
    haben ... ist eine Ewigkeit her ... verstehst du?«
    Korvensuo nickte. Was wir gemacht haben, dachte er.
    »Das ist doch vorbei«, sagte Pärssinen.
    Vorbei, dachte Korvensuo. Aus und vorbei. Nichts
    passiert, dachte er. Nichts, nichts. Pärssinen lächelte
    und wirkte freundlich. Freundlicher alter Hausmeister.
    Eine Weile herrschte Schweigen. Dann sagte Pärssi-
    nen: »Timo ... schön, dich wiederzusehen.«
    »Ja ...«
    »Ich habe immer mal an dich gedacht ... damals,
    dein Abgang war natürlich komisch ... ein paar Tage
    habe ich mir Sorgen gemacht ... hatte gedacht, dass du
    vielleicht zur Polizei gehen würdest ... vom Erdboden
    verschluckt sozusagen ...«
    Korvensuo nickte.
    »Du warst schon ein komischer Typ«, sagte Pärssinen
    und lachte.
    Korvensuo nickte vor sich hin.
    »Wie geht es dir denn heute? Hast du ... Familie oder
    so was?«
    Korvensuo suchte Pärssinens Blick und fand Augen,
    die an ihm vorbei ins Nichts sahen. Nichts, dachte er.
    Nichts, nichts. Aku hält eine Hand ins Wasser und
    fragt Laura, ob er auch mal rudern darf.
    »Ich werde jetzt gehen«, sagte Korvensuo.
    Pärssinen nickte. »Immerauf Achse, was?«
    Korvensuo lief.
    »Aber eins noch«, sagte Pärssinen. Er stand auf und
    ging zum Regal mit den Hüllen. Korvensuo blieb
    stehen. Wartete. Nicht bewegen, dachte er.
    »Du hattest doch diesen einen Film, deinen Lieb-
    lingsfilm ...«, sagte Pärssinen. »Mit dem Mädchen, das
    dir so gut gefallen hat, die Schmale mit den dunklen
    Haaren ... in dem Film ist sie mit zwei Männern zu-
    gange ... und sie hat so ein Muttermal auf der Schulter
    ... erinnerst du dich?«
    Pärssinen suchte weiter, er wollte keine Antwort
    hören. Er wurde fündig und kam mit einer Hülle auf
    ihn zu.
    »Ich hab den doch tatsächlich noch auf DVD bringen
    können, hab ihn einfach nochmal mit einer neuen
    Kamera abgefilmt. Die Qualität ist sogar ganz gut ...
    und vor allem das Mädchen ... ich schenk ihn dir.« Pärs-
    sinen lächelte und hielt ihm die Hülle hin. Eine weiße,
    neutrale Hülle. Am Rand einige Buchstaben, Kategori-
    sierungen, die nur Pärssinen verstand. Und eine Jahres-
    zahl, das Jahr, in dem der Film gedreht worden war.

1973.
    »Nimm schon«, sagte Pärssinen.
    Korvensuo nahm die Hülle.
    »Komm vorbei, wann immer du willst«, sagte Pärs-
    sinen.
    Korvensuo lief an der sorgfältig gemähten Rasen-
    fläche entlang zu seinem Wagen. Er würde Marjatta
    anrufen. Bescheid sagen, dass er gut angekommen war.
    Ein gutes Gespräch geführt hatte. Über Reihenhäu-
    ser. Sein Körper war ein bleischweres Gewicht aus
    Leere.
    Er legte die Hülle auf den Beifahrersitz und startete
    den Wagen.

    5

    Sundström wirkte zuversichtlich. Zu Scherzen aufge-
    legt, die keiner verstand.

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