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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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wie-
    der an der selben Schnittstelle zwischen dem Feld und
    der Siedlung kleiner Häuser. Bei Elina Lehtinen brannte
    Licht. Das Feld lag blass in der Mitternachtssonne. Er
    rief bei Marjatta an, um ihr zu sagen, dass er den Film
    gesehen hatte. Marjatta verstand nicht.
    »Die Hexe spricht genau wie Aku«, erklärte er.
    »Du warst im Kino?« fragte Marjatta.
    »Ich meine, Aku spricht wie die Hexe. Er hat sie gut
    imitiert. Sag ihm das.«
    »Ich dachte, du hast den Kunden wegen der Reihen-
    häuser getroffen«, sagte Marjatta.
    »Habe ich auch. Aber vorher hatte ich noch Zeit«,
    sagte er.
    »Kommst du morgen zurück?« fragte Marjatta.
    »Ja«, sagte er. »Spätestens übermorgen.«
    Marjatta schwieg.
    »Ich vermisse euch schon«, sagte er.
    »Wir dich auch«, sagte Marjatta.
    »Sag Aku das mit der Hexe, ich meine, dass er die gut
    nachgemacht hat, das freut ihn sicher«, sagte er.
    »Mache ich«, sagte Marjatta.
    »Und natürlich Grüße an die beiden.«
    »Werden ausgerichtet.«
    »Und schlaf schön.«
    »Du auch.«
    Er öffnete das Fenster auf der Fahrerseite und hörte
    Stimmen. Eine gehetzte männliche Stimme, eine ruhige,
    leisere weibliche. Die Stimme von Elina Lehtinen. Mut-
    ter von Pia Lehtinen.
    Elina Lehtinen und ihr Besucher saßen im Garten. Er
    hörte ihre Stimmen. Er hörte nicht, was sie sagten. Er
    empfand nur die Ruhe in Elina Lehtinens Stimme.
    Sein Handy signalisierte die Ankunft einer SMS. Aku
    freut sich, schrieb Marjatta.
    Er legte das Handy auf den Beifahrersitz und hörte,
    wie der Mann, Elina Lehtinens Besucher, unterdrückte
    Schreie ausstieß. Elina Lehtinen schwieg eine Weile.
    Dann hörte er wieder leise ihre Stimme. Auch Pia hatte
    schreien wollen. Unter Pärssinen liegend. Er hatte nur
    die Beine gesehen. Und die Arme. Und das Fahrrad.
    Er hatte im Wagen gesessen, während Pärssinen die
    Leiche im See versenkt hatte. Durch die Windschutz-
    scheibe hatte er ihm zugesehen.
    Durch die Windschutzscheibe sah er einen Mann
    aus Elina Lehtinens Haus kommen. Der Mann hielt
    den Kopf gesenkt.
    Elina Lehtinen sah ihm nach, bis er im Nachbarhaus
    verschwunden war. Eine kleine, schmale Frau. Sie
    schloss die Tür.
    Noch eine SMS von Marjatta. Aku ist hellwach und
    nervt mich mit der Hexe, aber wenn du nicht da bist,
    kann ich ja sowieso nicht schlafen, schrieb Marjatta.
    Er schaltete das Handy aus, startete den Wagen und
    fuhr. Um die Stadt herum. Einige Male wollte er die
    Ausfahrt Richtung Innenstadt nehmen, Richtung
    Hotel, aber dann fuhr er doch weiter im Kreis, bis er
    irgendwann mit letzter Kraft einen Parkplatz ansteuerte,
    die Stirn gegen das Lenkrad lehnte und innerhalb von
    Sekunden einschlief.
    12

    Kimmo Joentaa betrachtete den Stapel Papier, der vor
    ihm auf dem Tisch lag. Alles, was die inzwischen rund
    vierzig ermittelnden Polizisten in den vergangenen
    Tagen zusammengetragen hatten.
    Er strich über die Blätter, Hunderte von beschrie-
    benen Blättern, und dachte, dass die anderen jetzt auch
    zu Hause saßen und lasen. Heinonen, Grönholm, Sund-
    ström.
    Er konzentrierte sich auf Aussagen, die Sinikka Veh-
    kasalo betrafen. Er las und nahm das Foto und bildete
    sich ein, langsam hinter diese Augen blicken zu können,
    indem er sich auf Randnotizen konzentrierte.
    Er wusste nicht, weshalb er das tat, es ergab keinen
    Sinn, denn vermutlich war Sinikka Vehkasalo das Opfer
    eines Täters geworden, dessen Handeln dem Zufall und
    dem Trieb folgte und nicht das Geringste mit der
    Person Sinikka Vehkasalos zu tun hatte. Dennoch. Er
    konzentrierte sich aus nicht zu benennenden Gründen
    auf die Momente, in denen Sinikka zwischen den
    Zeilen Gestalt anzunehmen begann.
    Die meisten Gespräche verebbten im Nichts. Ab-
    gehandelt und zusammengefasst in einstudierten For-
    mulierungen, die für Genauigkeit und Effizienz stehen
    sollten und in Wirklichkeit immer zielgenau daneben
    lagen. Das war zumindest sein Eindruck.
    Gespräche mit Mitschülerinnen und Mitschülern.
    Enge Freundinnen schien es nicht gegeben zu haben,
    aber die meisten hatten Sinikka gemocht. Sie habe
    immer alles gewusst, aber sich nie gemeldet, weil sie sich nicht wichtig machen wollte, sagte einer der befragten
    Jungen in einem Nebensatz.
    Eines der Mädchen erzählte von einer Geburtstags-
    feier, auf der Sinikka plötzlich verschwunden gewesen
    sei. Nach Stunden war sie zurückgekehrt, in sich ge-
    kehrt, rätselhaft lächelnd und nicht gewillt, die Frage zu beantworten, wo sie gewesen sei.
    Magdalena, mit der sie

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