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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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schnell.
    Polizisten sah er nicht. Überhaupt niemanden.

    Häuser in der Ferne, halb verdeckt hinter dem Feld. Er
    wendete, fuhr zurück, hielt am Straßenrand und stieg
    aus.
    Er ging über die Straße. Der Fahrradweg verlief hinter
    den Bäumen. Er stand im Schatten. Auf dem Boden
    lagen Fetzen Papier. Reste eines Absperrbandes. Neben
    dem Kreuz lagen Blumen.
    Pia Lehtinen, las er. Die Buchstaben waren groß, ge-
    messen an der geringen Größe des Kreuzes. Und sie
    waren sorgfältig auf das Holz aufgetragen worden. In
    weißer Farbe. Dahinter das gelbe Feld. Getötet 1974.
    Diese Worte etwas kleiner. Aku, der eine Hexe imitiert.
    Laura. Im Juli wurde sie vierzehn. Wie die Zeit vergeht,
    dachte Korvensuo. Pärssinen ein netter alter Hausmeis-
    ter. Laura hatte am 19. Juli Geburtstag. Den Lenker des
    Fahrrads hatte er gerade gebogen.
    »Traurige Geschichte«, sagte eine Stimme neben ihm.
    Er wendete den Blick und sah eine Frau und einen
    Mann. Spaziergänger. Die Frau war sehr klein und hatte
    weiße Haare, und der Mann sagte noch einmal, leise
    und den Blick auf das Kreuz gerichtet: »Traurige
    Geschichte. Und jetzt ist es wieder passiert.«
    »Sind Sie von der Polizei?« fragte die Frau.
    »Ich ... nein, nein«, sagte Korvensuo.
    »Hier waren Polizisten. Aber gestern am Abend haben
    sie alles abgebaut und sind weggefahren«, sagte der
    Mann, und die Frau nickte.
    »Ja ... ich ... hatte davon gehört«, sagte Korvensuo.
    »Es läuft ja die Nachrichten rauf und runter.«
    »Sie haben sogar von hier gesendet in den letzten
    Tagen«, sagte der Mann. »Im Hintergrund immer die
    Polizisten in den weißen Kleidern und das Feld ... wir
    konnten sogar ... unser Haus sehen.«
    Korvensuo nickte.
    »Wir kennen Pias Mutter ein wenig ... Elina ... wir
    wohnen in derselben Straße«, sagte die Frau.
    »Aber am anderen Ende«, sagte der Mann. »Am ande-
    ren Ende derselben Straße.«
    Korvensuo nickte.
    »Ja ...«, sagte die Frau.
    »Auf Wiedersehen«, sagte der Mann.
    Korvensuo sah ihnen nach.
    Die beiden gingen den Fahrradweg entlang und
    bogen schließlich in den Wald ab.
    Er war wieder allein.
    Rot, dachte er. Nicht eine Spur von Rot.
    Sein Wagen stand silbern in der Sonne. Er ging da-
    rauf zu und stieg ein. Ein Hitzeschwall. Schüttelfrost.
    Die Kopfschmerzen waren zurückgekehrt. Er nahm
    zwei Tabletten und rief die Auskunft an. Elina Lehtinen
    in Turku, sagte er und erhielt eine Nummer und eine
    Adresse.
    Er startete den Wagen, ließ ihn bis ans Ende des Fel-
    des rollen und stand an der Straße, die in die Siedlung
    hineinführte. Er schaltete den Motor aus und saß in der
    Stille.
    Zwei Mädchen kamen ihm entgegen, auf Fahrrädern.
    Sie fuhren freihändig an ihm vorbei und bogen auf den
    Fahrradweg ab, auf dem auch Pia Lehtinen gefahren
    war. Timo Korvensuo sah, wie sie an dem Kreuz vorbei-
    fuhren, ohne ihre Geschwindigkeit zu drosseln, und er
    wählte Marjattas Handy an, nur um ihre Stimme zu
    hören.

    8

    Hannu Lehtinen sprach schnell und gleichzeitig bedäch-
    tig. In geschliffenen Sätzen. Er arbeitete schon seit einigen Jahren nicht mehr, aber die Adresse auf der Visiten-
    karte, die Elina Lehtinen Joentaa gegeben hatte, war die
    richtige gewesen.
    Sie saßen auf der Terrasse, die auf einen kleinen, fast
    unnatürlich akkurat gepflegten Garten hinausführte.
    Identische Farben. Alle Blumen blühten in derselben
    Höhe. Ein Fußball war nicht zu sehen.
    »Vierzig Jahre«, sagte er, und Joentaa sah ihn fragend
    an. »Vierzig Jahre lang habe ich für die Ventega gearbei-
    tet««, präzisierte Hannu Lehtinen und reichte ihm eine
    Visitenkarte.
    Joentaa nahm die Karte, obwohl er die gleiche schon
    von Elina Lehtinen bekommen hatte.
    »Es gab eine große Verabschiedung. Manchmal besu-
    che ich meine Kollegen in der Firma.«
    Joentaa nickte.
    »Wir essen gemeinsam in der Kantine«, sagte er.
    »Und dann sagen sie immer, dass manches nicht mehr
    so wie früher ist, weil ich nicht mehr dabei bin ... aber
    um das zu erfahren, sind Sie natürlich nicht hier.«
    »Nein ... ich...«
    »Ich weiß, warum Sie hier sind. Das Mädchen, das
    verschwunden ist ... ich habe es in den Nachrichten
    gesehen.«
    »Ja ... ich habe schon mit Ihrer Frau darüber gespro-
    chen«, sagte Joentaa.
    »Elina ... wie geht es ihr?« Er sah ihn offen an und
    schien die Frage für normal zu halten.
    »Ich fürchte, das kann ich nicht beurteilen «, sagte
    Joentaa.
    »Natürlich, entschuldigen Sie«, sagte Lehtinen.
    »Ich glaube aber, dass sie ...

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