Das Schweigen
ich fand sie bemerkens-
wert«, sagte Joentaa, überrascht von seinen eigenen
Worten.
Lehtinen starrte ihn eine Weile an, dann nickte er
kaum merklich und sagte. »Ich werde Elina demnächst
mal anrufen.«
»Ja ... ich bin hier, um Sie zu fragen, ob Sie einen Zu-
sammenhang für möglich halten«, sagte Joentaa.
»Einen Zusammenhang?«
»Das Mädchen heißt Sinikka Vehkasalo. Sagt Ihnen
der Name etwas? Wir suchen eine Verbindung.«
»Eine Verbindung?«
»Sinikka Vehkasalo und Ihre Tochter Pia. Es liegen
dreiunddreißig Jahre dazwischen, aber es muss unserer
Einschätzung nach eine Verbindung geben.«
Lehtinen dachte eine Weile nach. »Und warum?«
fragte er schließlich.
»Was denken Sie?« fragte Joentaa. »Was haben Sie
gedacht, als Sie davon erfahren haben?«
»Wovon habe ich erfahren?«
»Von dem Verschwinden des Mädchens. An der
Stelle, an der Ihre Tochter damals verschwunden ist.«
Lehtinen sah ihn an und schien gleichzeitig an ihm
vorbei zu sehen. »Gar nichts«, sagte er.
»Gar nichts?«
»Nein.«
»Sie müssen doch ... vielleicht reden wir aneinander
vorbei.«
»Nein«, sagte Hannu Lehtinen. Er stand auf. »Ich
möchte, dass Sie jetzt gehen«, sagte er.
»Ich ... wir suchen möglicherweise nach dem Mann,
der Ihre Tochter...«
»Ich möchte, dass Sie gehen«, sagte Lehtinen.
Joentaa erhob sich. Während er ging, spürte er, dass
seine Beine zitterten.
»Ich kenne niemanden, der Vehkasalo heißt«, sagte
Lehtinen, als Sie an der Tür standen. »Und über alles
andere kann ich nicht sprechen. Ich bitte Sie, das zu
verstehen.«
Joentaa nickte, und Hannu Lehtinen schloss die Tür.
9
Timo Korvensuo ging ins Kino. Er sah den Film, den
Marjatta und Aku gesehen hatten.
Es war kühl und dunkel, und die Schmerzen ließen
nach. Sein Kopf fühlte sich leicht an. Das Kino war fast
leer, nur ein paar Jugendliche saßen in der ersten Reihe
und lachten an Stellen, an denen Korvensuo nichts lus-
tig finden konnte.
Er saß in der hintersten Bank und dachte, dass er die-
selben Bilder sah, die Marjatta und Aku gesehen hatten.
Marjatta war überrascht gewesen, als er vorhin
schon wieder angerufen hatte, und sie hatte unsicher ge-
lacht, als er gesagt hatte, er habe nur ihre Stimme hören
wollen.
Die Hexe sprach tatsächlich so, wie Aku sie nachge-
macht hatte.
Er hatte eine Weile in Sichtweite des Hauses gestan-
den, in dem Elina Lehtinen lebte. Elina Lehtinen hatte er
nicht gesehen, aber auf dem Nachbargrundstück hatte
ein alter Mann Blumen gegossen, und wenn er sich nicht
getäuscht hatte, hatte dieser Mann geweint. Geweint
und den Kopf geschüttelt und Blumen gegossen.
Timo Korvensuo hatte abwechselnd den Mann ange-
sehen und das Haus, in dem Elina Lehtinen wohnte,
und irgendwann hatte der Mann die Gießkanne stehen
lassen und war hinüber gegangen zu dem Haus und
hatte bei Elina Lehtinen geklingelt.
Der Mann hatte mit gesenktem Kopf gewartet, und
eine Frau hatte die Tür geöffnet. Eine schmale Frau mit
einem auffällig runden Gesicht. Sie hatte den weinenden
Mann in die Arme genommen und die Tür geschlossen,
und Timo Korvensuo war ins Kino gefahren.
Auf der Leinwand sah er die Blutfontäne, von der
Marjatta gesprochen hatte. Die Jugendlichen in der ers-
ten Reihe lachten. Die Hexe sprach mit Akus Akzent,
sein Mathematikstudium hatte er beizeiten abgebro-
chen, und auf dem Sitz neben ihm lag eine leere Limo-
nadenflasche.
Der Film endete glücklich mit dem Ableben der
Hexe.
Während Timo Korvensuo wieder um die Stadt
herum fuhr, schien die Abendsonne, und die Kopf-
schmerzen kehrten zurück.
IO
Kalevi Vehkasalo hatte sich Worte zurechtgelegt. Ganze
Sätze sogar.
Er hatte in seinem Büro gesessen, Ville und den an-
deren bei der Arbeit zugesehen und darüber nachge-
dacht, was er Ruth sagen würde, worüber sie sprechen
würden, am Abend, wenn er nach Hause kam, er hatte
so viele Gedanken gehabt, die Sinikka betrafen.
Zum Beispiel hatte er sich vorgenommen, Ruth noch
einmal wirklich dafür zu danken, dass sie sich damals
mit ihrem Kinderwunsch durchgesetzt hatte, gegen
seinen anfänglichen Widerwillen, denn immerhin war
Sinikka ja das Beste gewesen, was ihm je passiert war.
Auch wenn er das nicht immer gezeigt hatte. Auch
wenn Sinikka es sicher nicht gewusst hatte, aber es war
die Wahrheit, und wenn er es schon Sinikka nicht mehr
würde sagen können, würde er es wenigstens Ruth mit-
teilen.
Er war am Abend nach Hause
Weitere Kostenlose Bücher