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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Ermittlungen Aufschluss
    über einen roten Kleinwagen«, sagte Heinonen. »Sie be-
    saßen einen solchen Kleinwagen in den Jahren 1974 bis
    1983, ist das richtig?«
    »Einen roten Ford«, sagte Pärssinen. »Sogar länger ...
    erst ... Mitte der Achtziger hat er den Geist aufgegeben.
    Und 1972 hatte ich ihn gekauft. Aber das ist ja ...«
    »Ja?« fragte Heinonen.
    Pärssinen nahm noch einen Keks und sagte: »Das ist
    ja ewig her.« Er schien nachzudenken. Heinonen war-
    tete. »Das ist ewig her«, sagte Pärssinen noch einmal.
    »Inzwischen habe ich einen Golf. Auch rot. Worum
    geht es denn?«
    »Was glauben Sie?« fragte Heinonen.
    »Ich weiß nicht.«
    »Sie haben vom Fall des verschwundenen Mädchens
    gehört. Das Fahrrad in einem Feld in Naantali?«
    »Nein«, sagte Pärssinen.
    Nein, dachte Heinonen. Der Mann verzog keine
    Miene, während er das sagte.
    »Sie sehen ab und an Nachrichten?«
    »Nein«, sagte Pärssinen.
    Nein, dachte Heinonen. Nein. Ein alter Mann. Ein
    kräftiger, sonnengebräunter, alter Mann, in dessen Hirn
    sich ein Spatz eingenistet hatte.
    »Ich bin hier Hausmeister«, sagte Pärssinen. »Seit
    mehr als dreißig Jahren.«
    Heinonen nickte.
    »Nehmen Sie«, sagte Pärssinen und deutete auf die
    Schachtel mit den Keksen.
    »Danke«, sagte Heinonen. »Können Sie mir sagen,
    was Sie am vergangenen Freitag gemacht haben? Mög-
    lichst lückenlos zwischen 12 und 23 Uhr?«
    »Natürlich«, sagte Pärssinen.
    Natürlich, dachte Heinonen, und Pärssinen zog aus
    einer Schublade ein Notizbuch. »Morgens habe ich den
    Rasen gemäht. Von zehn bis halb eins. Es ist ja eine
    große Fläche, müssen Sie wissen. Das dauert. Es soll ja
    schön aussehen. Dann die Scharniere der Schaukel
    geölt, weil sich die alte Kononen aus der 89 beschwert
    hatte. Die alte Schachtel, meine Güte.« Er lachte leise in sich hinein und schüttelte den Kopf, vermutlich beim
    Gedanken an die alte Kononen. »Um 13 Uhr war ich
    dann bei Virpi Jokinen in der 90 und habe ihren Fern-
    seher repariert.« Er sah auf und lächelte. »Das muss ich
    natürlich nicht, aber ich mache das. Ich mache das
    gerne. Und sie hat mir ja auch im Gegenzug ein Mittag-
    essen spendiert, sogar Schwarzwurst mit Kartoffeln und
    Pilzsoße, mein Leibgericht. Ja ... ich habe notiert, dass
    ich bis 15.30 Uhr bei ihr gewesen bin. Sie hat von
    Mikko erzählt, das ist ihr Enkel, und der fängt gerade
    an zu studieren. Also, er will anfangen, aber er ist durch die Prüfung gefallen, und jetzt wissen sie nicht,
    was sie machen sollen ... die Eltern ... er will Medizin
    studieren, und ich habe gesagt, was für ein Glück, dass
    er durchgerasselt ist, denn wer schneidet schon freiwillig Menschen auf ... und zu.« Er hob wieder den Blick und
    schien auf Heinonens Bestätigung zu warten. »Ja
    ... dann habe ich ein wenig geschlafen ... und am Abend ...«
    »Darf ich sehen?« fragte Heinonen.
    »Sicher.« Pärssinen reichte ihm das Notizbuch. Sorg-
    fältig geführte Buchstaben. Schönschrift, ein wenig ge-
    zwungen, wie bei einem Grundschüler. Lückenlos, tat-
    sächlich.
    »Ich mache das schon lange«, sagte Pärssinen. »Viele
    Jahre. Aber nicht als Tagebuch, um Gottes willen.
    Nein, nur damit man weiß, wo man so gewesen ist, was
    man gemacht hat.«
    Heinonen nickte. »Danke«, sagte er und stand auf.
    »Wenn ich weitere Fragen habe, melde ich mich. Sie
    sind doch hier zu erreichen, oder?«
    »Natürlich«, sagte Pärssinen. »Was glauben Sie, was
    aus dem Haus hier werden würde, wenn ich nicht da
    wäre?« Er lächelte wieder, der Blick wirkte unvermindert
    entrückt. Ein Infarkt, dachte Heinonen. Oder ein leich-
    ter Schlaganfall. Irgendetwas Derartiges, er kannte sich
    damit nicht aus. Erstaunlich, dass der Mann noch arbei-
    ten konnte.
    »Na, dann ...«, sagte Pärssinen.
    »Ja. Ich danke Ihnen. Auf Wiedersehen«, sagte Hei-
    nonen. Als er ins Freie trat, spielte er kurz mit dem
    Gedanken, Virpi Jokinen in der 90 einen Besuch abzu-
    statten, aber er entschied sich dagegen. Zumal er nur
    noch zwanzig Minuten Zeit hatte bis zur Besprechung
    um 14 Uhr.
    Die dunkelgrüne Rasenfläche lag wie eine optische
    Täuschung in der Mittagssonne.
    Bevor er losfuhr, nahm auch Tuomas Heinonen ein
    Notizbuch zur Hand. Er versah den Namen Pärssinen
    mit einem Sonderzeichen, das er keinem anderen
    Namen zugeordnet hatte, er malte langsam und sorgfäl-
    tig, fast im Stil des merkwürdigen alten Hausmeisters,
    ein Fragezeichen.

    5

    Pärssinen saß im Dunkel und spürte den

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