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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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ergab.
    Er blieb eine Weile sitzen. Dann legte er das Handy
    auf den Beifahrersitz und stieg aus. Er lief durch einen
    Schwall warmer Luft auf das Haus zu.
    Im Nachbarhaus waren die Vorhänge zugezogen, es
    wirkte verlassen. Korvensuo dachte an den gebückten,
    großen Mann, der gestern am Abend bei Elina Lehtinen
    gewesen war.
    Er spürte Schweiß an seinem Hals und auf der Stirn
    und drückte den Klingelknopf. Nichts. Gar nichts. Nicht
    das Geringste. Er summte eine Melodie. Elina Lehtinen
    stand ihm gegenüber. Einige Meter entfernt. Sie stand
    auf der Schwelle der Tür und sah ihn fragend an, und
    Timo Korvensuo dachte, dass es zu Ende war.
    Endlich.
    Er schob das Gartentor nach vorn und ging auf Elina
    Lehtinen zu, und er hörte, dass sie etwas sagte, den
    Klang ihrer Stimme.
    »Entschuldigen Sie die Störung«, sagte er.
    »Ja, bitte?« sagte Elina Lehtinen.
    »Entschuldigen Sie die Störung«, sagte Korvensuo.
    Elina Lehtinen wartete.
    »Ich ... sagen Sie, das Haus nebenan ... wissen Sie
    zufällig, ob es zum Verkauf steht?«
    Elina Lehtinen folgte seinem Blick auf das Nach-
    bargrundstück. »Nein«, sagte sie.
    »Ich dachte nur ... es sieht aus, als würde es leer
    stehen«, sagte Korvensuo.
    »Nein«, sagte Elina Lehtinen.
    Korvensuo nickte. »Das ist schade ... ich dachte ... ich
    suche nämlich ein Haus für mich und meine Familie
    hier in dieser Siedlung ...«
    Aus dem Nachbarhaus trat der große, gebückte
    Mann. Er schien sie nicht wahrzunehmen, obwohl er
    kaum zwanzig Meter entfernt war. Er stieg in sein Auto
    und fuhr davon, den Blick starr geradeaus gerichtet.
    Korvensuo sah dem Wagen nach, und Elina Lehtinen
    sagte:
    »Möchten Sie einen Tee?«
    »Ich ... ja ... ja, sehr gerne, ich danke Ihnen«, sagte er.
    Elina Lehtinen lächelte.
    Er folgte ihr in den Schatten des Hauses. Sie ging, um
    Tee zu kochen. Er betrachtete den kleinen Garten. Auf
    dem Rasen lag ein Fußball, und Laura ruderte und Aku
    hielt eine Hand ins Wasser. Er spürte es. Wie es sich an-
    fühlte. Es war kalt und kribbelte auf der Haut.
    Er drehte sich um und sah in die lachenden Augen
    von Pia Lehtinen. Ein lautes Lachen. Nur ein wenig
    lauter noch, dann würde er es hören können.
    »Wir können auf die Terrasse gehen, wenn Sie
    mögen«, sagte Elina Lehtinen.
    »Gerne«, sagte Korvensuo.
    Elina Lehtinen goss Tee in zwei Tassen.
    »Ihre Tochter?« fragte Korvensuo.
    Nichts, gar nichts. Alles Energie.
    »Ich meine, auf dem Foto, das im Wohnzimmer
    hängt ...«
    »Ja«, sagte Elina Lehtinen.
    Korvensuo nickte. »Ich ... habe auch zwei Kinder«,
    sagte er.
    Elina Lehtinen reichte ihm einen Teller mit einem
    Stück Kuchen. Blaubeerkuchen.
    »Sie sieht... nett aus«, sagte Korvensuo.
    Elina Lehtinen nahm sich auch ein Stück von dem
    Kuchen.
    »Meine sind acht und dreizehn. Ein Junge und ein
    Mädchen.«
    Elina Lehtinen schwieg.
    »Aku und Laura«, sagte Korvensuo.
    Elina Lehtinen schwieg.
    »Und ... wie heißt Ihre Tochter?«
    »Pia.«
    »Pia. Das ist ein schöner Name.«
    Er führte die Gabel zum Mund, und Aku spürte ein
    kühles Kribbeln auf der Haut.
    »Und Sie suchen also ein Haus in der Gegend?« fragte
    Elina Lehtinen.
    »Ja ... richtig. Wir ... ich verändere mich beruflich.
    Wissen Sie, ob in der Nähe ein Objekt zum Verkauf
    steht?«
    »Leider nicht. Aber ich kann mich für Sie umhören,
    wenn Sie möchten.«
    »Ja, gerne. Das wäre nett. Wobei ...«
    Elina Lehtinen sah ihn fragend an.
    »Ich bin selbst Grundstücksmakler. Insofern kann ich
    das eigentlich leicht selbst recherchieren. Dass ich
    herkam, war ganz spontan, weil ich dachte, dass das
    Nachbarhaus leer steht ... aber dennoch ... ja, es wäre
    wirklich sehr nett, wenn Sie sich umhören würden.«
    Elina Lehtinen schwieg.
    »Der Kuchen ist sehr gut«, sagte er.
    Elina Lehtinen führte die Tasse zum Mund, und Aku
    stand auf und sprang kopfüber ins Wasser.
    »Hier«, sagte er und reichte ihr seine Visitenkarte.
    »Für den Fall, dass sich etwas ergeben sollte. Es wäre
    wirklich schön, mir gefällt es hier ... sicher würde es
    auch meiner Frau und meinen Kindern gefallen.«
    Elina Lehtinen betrachtete die Visitenkarte.
    »Hat ... hat denn Ihre Tochter ... ich dachte gerade ...
    vielleicht ist mein Sohn etwa im selben Alter wie die
    Kinder Ihrer...«
    »Meine Tochter hat keine Kinder.«
    Er nickte.
    »Sie ist tot«, sagte Elina Lehtinen, und Marjatta rief,
    dass Aku nicht zu weit rausschwimmen sollte.
    »Das tut mir sehr leid«, sagte er.
    Elina Lehtinen

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