Das Schweigen
dem
Bild und schwiegen.
Dann die Jahre, in denen Maria die Wirklichkeit zu
entgleiten begann und Turre seine ganze Kraft verlor.
Der Tag, an dem Turre vorbeikam, in den von Schnee
bedeckten Garten blickte und sagte, dass Maria bald in
einem Heim leben werde, und auf dem Foto an der
Wand hatte Pia nicht aufgehört zu lächeln.
Der Sportwagen hatte silbern geglänzt, heller als die
Sonne. Sie hatte den Mann auf das Haus zukommen
sehen und war Schritt für Schritt gegangen, um zu
öffnen.
Sie versuchte, etwas zu empfinden, und dachte an
Maria. An ihre letzte Begegnung. Maria hatte geklingelt
und Elina die flache Hand ins Gesicht geschleudert,
bevor Elina begriffen hatte, was passierte. Turre hätte
Flittchen im Bett. Jede Menge Flittchen, Flittchen. Sie
erinnerte sich an Marias Stimme. Daran, dass es nicht
mehr Marias Stimme gewesen war, und es waren auch
nicht mehr Marias Augen gewesen, die sie angesehen
hatten.
Wenige Tage später waren Turre und Maria in das
Heim gefahren, und Elina hatte sie regelmäßig besucht,
aber Maria war nie mehr zurückgekehrt.
Sie wartete darauf, etwas zu empfinden, aber sie
fühlte nichts, und sie dachte nur an Maria und daran,
dass sie gestorben war, und zwei Namen geisterten
durch ihre Gedanken, zwei Namen von Menschen, die
sie nicht kannte. Das vielleicht. Ein vages Empfinden
von Traurigkeit.
Sie hatte schon vergessen, wie der Mann ausgesehen
hatte. Ein silberner Sportwagen, heller als die Sonne.
Und eine Visitenkarte. Kühl und glatt lag sie in der Hand.
Sie zwang sich, zum Telefon zu gehen und wählte.
Die Stimme, die sich meldete, klang vertrauter, als sie
gedacht hatte.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte sie.
»Oh ... du weißt ...«
»Du hattest schon den einen oder anderen zu viel ge-
trunken, und da ist dir das mit dem Geburtstag wohl so
rausgerutscht.«
»Oh«, sagte Ketola. »Ja, dann ... danke.«
»Du hast recht gehabt«, sagte sie.
»Recht gehabt...«
»Er ist hier gewesen.«
Ketola schwieg.
»Ich weiß seinen Namen«, sagte sie.
Ketola schwieg. Einige Sekunden vergingen.
»Ich komme sofort zu dir«, sagte Ketola. Jetzt lag
etwas Fremdes, Gehetztes in seiner Stimme.
Zwei Namen. Von Menschen, die sie nicht kannte.
»Seine Kinder heißen Aku und Laura«, sagte sie und
legte auf.
7
Aku hielt eine Hand ins Wasser.
Laura lag in der Sonne.
Pia lachte lautlos.
Ich kenne das hier, hatte Pärssinen gesagt. Hatte den
Wagen scharf abgebremst, war rausgesprungen, hatte
den Kofferraum geöffnet. Er selbst war im Wagen sit-
zengeblieben und hatte Pärssinen zugesehen und nichts
Bestimmtes gedacht, nur, dass es ein schöner See war
und dass Pärssinen die Ruhe störte.
Daran erinnerte er sich jetzt. Es war nicht lange her.
Was waren schon dreiunddreißig Jahre.
Damals war alles still gewesen, nur dieses eine
Geräusch hatte er wahrgenommen. Das Geräusch, das
Pärssinen verursacht hatte, als er den leblosen Körper
über den Sand und den Schotter ans Wasser geschleift
hatte.
Timo Korvensuo stieg aus. Er streckte sich und be-
trachtete eine Weile den Himmel. Seine Beine knickten
ein. Er wartete, bis er auf ihnen stehen konnte, dann lief er ans Ufer, ging in die Hocke und hielt eine Hand ins
Wasser.
Wie Aku. Er fühlte, was Aku fühlte. Jetzt, in diesem
Moment, und es fühlte sich leicht an. Noch leichter als
am Morgen.
Elina Lehtinen war eine nette Frau. Eine kluge Frau.
Er mochte sie. Eine Frau mit großem Lebenswillen und
einem stillen Schmerz in den Augen, den er aufgesogen
hatte, bis sein Körper ganz davon durchdrungen gewe-
sen war.
Er richtete sich auf und nahm das Handy aus seiner
Hosentasche. Er wählte. Marjattas Stimme klang nah
und laut. Er drehte sich um, weil er plötzlich dachte,
dass sie hinter ihm stehen musste, aber da stand nur
sein Wagen, dessen silberner Lack unter dem Gewicht
der Sonne langsam zu schmelzen begann.
»Wie läuft̕s bei euch?« hörte er sich fragen.
»Gut. Bei dir?«
»Auch.«
»Natürlich vermissen wir dich ein wenig. Wolltest du
das hören?«
Marjatta lachte. Marjattas klares, echtes Lachen.
»Nein, nein«, sagte er.
»Es ist aber wirklich so«, sagte Marjatta. »Aku fragt
dauernd nach dir.«
»Ja ...«
»Und ich habe schlecht geschlafen. Irgendwie fehlt
mir anscheinend dein Schnarchen.«
Wieder lachte sie.
»Ich ...«
»Wo bist du jetzt? Geht die Sache da voran?«
»Ich bin am See«, sagte er.
»Am See?«
»Ja ... am See. Ein ziemlich schöner
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