Das Schweigen
nickte.
»Es ist sehr lange her«, sagte Elina Lehtinen.
»Dennoch ... es tut mir leid ... ich wollte nicht ...«
Elina Lehtinen nickte.
»Es tut mir wirklich leid«, sagte er und stand auf. Das
Flimmern vor den Augen ließ nach, als er in den Schat-
ten des Hauses trat.
Aku tauchte, und Pia lachte lautlos.
»Sie haben ja meine Karte«, sagte er, als sie an der Tür
standen. Er spürte ihre Hand in seiner.
Er lief, und Elina Lehtinen schloss die Tür. Er hörte,
wie sie einrastete, und Aku tauchte auf und atmete tief
ein und tief aus, weil er so lange die Luft angehalten
hatte.
Timo Korvensuo stieg in den Wagen. Er stellte sich
vor, nach Hause zu fahren, und fuhr stattdessen eine
Strecke, die er lange nicht gefahren war und dennoch
kannte.
4
Das Haus Korvalankatu 86 – 90 war ein Betonklotz,
eine rechtwinklige Häuserreihe, die umgeben war von
einer außergewöhnlich sorgfältig gemähten Rasenfläche.
Tuomas Heinonen stand eine Weile davor und fragte
sich, ob er jemals in einem heißen Sommer wie diesem
einen derart gepflegten, kräftigen Rasen gesehen hatte.
Die Sprinkleranlage warf Wasserfontänen in alle Rich-
tungen.
Die Häuserreihe musste Dutzende von Wohnungen
beherbergen, aber es war niemand zu sehen. Aus einem
geöffneten Fenster drang klassische Musik, auf dem
Spielplatz saß ein Junge auf einer Schaukel. Ein Mann
mit einem ausladenden Bierbauch lief auf Höhe der Ab-
fall-Container einige Trippelschritte nach vorn und ei-
nige Trippelschritte zurück. Vor und zurück. Heinonen
vermutete, dass es sich um ein Spiel handelte, das nur
der Mann in seinem versoffenen Kopf verstand.
Die Wohnung, die er suchte, lag im Erdgeschoss. Die
Jalousien waren zugezogen. Heinonen trat in den Schat-
ten des Treppenhauses und klingelte bei Pärssinen.
Olavi Pärssinen. Einer der letzten Namen auf der Liste,
die Sundström ihm am Morgen gegeben hatte.
Während er wartete, dachte er darüber nach, was
Sundström nachher eigentlich hören wollte. Dass man
mit den Männern gesprochen hatte, dass man jetzt
wusste, welches Modell sie in den Jahren 1974 bis 1983
gefahren waren und dass niemand gestanden hatte, Pia
Lehtinen getötet zu haben, geschweige denn Marika
Paloniemi, geschweige denn Sinikka Vehkasalo.
Er drückte ein zweites Mal den Klingelknopf und rieb
sich das Gesicht und die Augen, während er wartete.
Olavi Pärssinen war offensichtlich nicht zu Hause.
Warum auch.
»Sie wollen zu mir?«
Er wendete sich um und sah in das Gesicht eines
alten, sonnengebräunten Mannes, der einen Werkzeug-
kasten in der Hand hielt.
»Olavi Pärssinen?« fragte Heinonen.
»Der bin ich«, sagte der Mann.
»Mein Name ist Heinonen.« Er hielt dem Mann sei-
nen Ausweis hin. »Wir benötigen für Ermittlungen in
einem Vermisstenfall einige Auskünfte von Ihnen.«
»Ach«, sagte Pärssinen.
»Ja.«
»Ja... wenn ich helfen kann«, sagte Pärssinen und sah
ihm offen in die Augen. Heinonen wartete einige Sekun-
den und versuchte, einen Eindruck zu gewinnen. Der
Blick des Mannes wirkte entspannt und ein wenig ent-
rückt.
»Wollen wir reingehen?« fragte Pärssinen.
Heinonen nickte, und Pärssinen schloss die Tür auf.
»Bitte«, sagte Pärssinen, und Heinonen betrat eine
völlig im Schatten liegende, karg eingerichtete Woh-
nung.
»Ein Bier?« fragte Pärssinen.
»Nein, danke«, sagte Heinonen.
Pärssinen lächelte, verschwand in der Küche und
kehrte mit einer Schachtel zurück, die er öffnete und
auf den Tisch legte.
»Nehmen Sie, die sind klasse«, sagte er und nahm
sich einen Schokoladenkeks. »Normalerweise trinke ich
dazu Pflaumenschnaps, aber Sie sind ja im Dienst, des-
halb ...« Pärssinen hob abwehrend die Hände und lä-
chelte. Heinonen nickte.
»Aber nehmen Sie einen Keks, die sind wirklich gut.
Und setzen Sie sich doch.«
Pärssinen deutete auf das Sofa.
»Danke«, sagte Heinonen. Er setzte sich und nahm
einen der Kekse. Der Schokoladengeschmack war un-
gewöhnlich kräftig und verursachte unmittelbar Übel-
keit. Und dazu Pflaumenschnaps. Prost, dachte Heino-
nen. Der Mann ihm gegenüber wirkte unvermindert
entspannt. Die Wohnung war penibel aufgeräumt. An
der Wand stand ein riesiger silberner Flachbildschirm-
Fernseher, im Regal daneben befanden sich sorgfaltig
aufgereiht DVD-Hüllen, alle weiß. Es roch frisch nach
Zitrone, als habe gerade erst jemand gründlich gerei-
nigt.
»Ja ...«.sagtePärssinen.
»Wir benötigen für unsere
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