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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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See.«
    »Was denn für ein See? Ich denke, du siehst dir diese
    Reihenhaussiedlung an?«
    »Ja, ja ... ich muss jetzt Schluss machen. Sag Aku und
    Laura ...«
    »Wann kommst du denn nach Hause?«
    »Bald. Heute.«
    »Gut. Pekka hat auch schon nach dir gefragt.«
    »Der kommt schon zurecht«, sagte er. »Sag Aku und
    Laura, dass ... dass sie die Besten sind.«
    »Na, das werden sie gerne hören. Dann bis heute
    Abend. Wir freuen uns.«
    Marjatta hatte die Verbindung unterbrochen.
    Er ging in die Hocke, schaltete das Handy aus, legte
    es zur Seite und seine Hände wieder ins Wasser. Er ließ
    sie auf den glatten, kühlen Steinen am Grund ruhen.
    Damals war alles still gewesen, heute hörte er von fern
    Stimmen. Das war der einzige Unterschied. Auf der
    anderen Seite des Sees war ein Pärchen. Teenager, wenn
    er es aus der Entfernung richtig einschätzte. Als er
    angekommen war, hatten sie sich mit gutem Appetit
    aus einem Picknickkorb bedient, aber inzwischen
    schienen sie zu streiten. Er hörte die schrille Stimme des Mädchens und die ruhigere, genervt klingende des
    Jungen.
    Wie dumm die Menschen waren. Freuten sich auf ein
    Picknick am See und machten sich alles kaputt, indem
    sie anfingen zu streiten. Vermutlich ohne jeden Sinn
    und Zweck. Fast spürte er den Impuls, zu den beiden
    hinüberzuschwimmen und ihnen zu erklären, dass sie
    einen Fehler begingen. Irgendjemand würde ihnen das
    beizeiten sagen müssen.
    Marjatta. Aku. Laura. Elina. Er würde alle miteinan-
    der bekannt machen. Natürlich. Nichts sprach dagegen.
    Aku und Laura würden Elina mögen, und Elina würde
    doch noch ihre Familie bekommen. Sie würden wirk-
    lich dorthin ziehen.
    Deshalb hatte er ja seine Visitenkarte da gelassen. Um
    das in die Wege zu leiten. Jetzt erst wurde ihm be-
    wusst, wie einfach alles war. Deshalb fühlte er sich auch
    so leicht, so befreit, schon am Morgen, gleich nach dem
    Aufwachen, hatte er diese Leichtigkeit gespürt.
    Er würde seine Firma in Turku neu eröffnen, und sie
    würden ganz in Elina Lehtinens Nähe wohnen, in einem
    Haus, das sie ihnen empfohlen haben würde. Elina
    würde beim Umzug helfen, und sie würden auf Um-
    zugskartons sitzen und Blaubeerkuchen essen, und
    Elina würde von Pia erzählen.
    Er hörte ein Lachen, ein gackerndes, albernes La-chen,
    und dann, nach einer Weile, ein anderes Geräusch. Eine
    Art Seufzen. Unnatürlich laut, mit hoher Stimme
    ausgestoßen. In unmittelbarer Nähe.
    Er wendete sich um, aber da war niemand. Ein verlas-
    sener See, ein Geheimtipp. Nur Pärssinen wusste davon,
    und das Pärchen auf der anderen Seite.
    Ein unnatürlich lauter, mit hoher Stimme ausgesto-
    ßener Ton, in unmittelbarer Nähe, über ihm, in ihm,
    um ihn herum.
    Er spürte, dass seine Lippen nur noch ein wenig zit-
    terten, dann kamen sie ganz zur Ruhe, und der Ton
    verklang über dem Wasser.

    8

    Elina Lehtinen wirkte verändert. Ketola konnte nicht
    greifen, worin die Veränderung bestand, er nahm sie nur
    wahr, durch den Schleier seiner eigenen Erregung.
    Sie saßen in der Küche. Auf dem Tisch lag die Visi-
    tenkarte, und Elina Lehtinen sah ihm ruhig und tief in die Augen, als er die Frage stellte, ob sie sich irren
    könnte.
    »Nein«, sagte sie nur.
    Ketola nahm wieder die Visitenkarte, wendete sie hin
    und her. Hin und her. Timo Korvensuo. Immobilien.
    Helsinki.
    »Er wollte es so«, sagte Elina Lehtinen.
    Ketola hob fragend den Blick.
    »Er wollte sich offenbaren. Er wollte, dass ich seinen
    Namen kenne.«
    »Er kann nicht wissen, dass du ihn durchschaut
    hast.«
    »Doch.«
    »Er hat doch unter einem Vorwand mit dir gespro-
    chen. Er hat es nicht zugegeben ...«
    »Doch. Nicht direkt. Auf eine ... andere Art.«
    Ketola nickte, obwohl er nicht verstand. Gar nichts
    verstand er, aber das erschien ihm auch gar nicht not-
    wendig, was nutzte schon dieses ewige Verstehen.
    »Er wollte, dass ich alles weiß. Zumindest ein Teil von
    ihm wollte das«, sagte sie.
    Ketola hatte eine Entgegnung auf den Lippen, hielt
    aber inne, senkte den Blick wieder auf die Karte und
    versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was jetzt zu
    tun war, aber es wollte ihm einfach nicht gelingen.
    Er war erregt und gleichzeitig sehr ruhig, und ir-
    gendwo in der Mitte zwischen diesen Empfindungen
    musste ihm die Fähigkeit abhanden gekommen sein,
    auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Er fühlte die
    Karte in seiner Hand. Er hatte es sich anders vorgestellt.
    Er hatte sich gar nichts vorgestellt.
    Er dachte an ein

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