Das Schweigen
Frau, die ihnen die Tür öffnete, hatte ein Lachen
im Gesicht und offenbar jemand anderen erwartet.
»Oh«, sagte sie.
»Guten Tag, Frau ... Korvensuo?« sagte Joentaa.
»Ja ... entschuldigen Sie, ich dachte, dass mein Sohn
... was kann ich ... worum geht es denn?«
»Frau Korvensuo, mein Name ist Kimmo Joentaa, ich
bin Mitarbeiter der Polizei in Turku, und das ist Antsi
Ketola, ein ... Kollege ...« Er zeigte Marjatta Korvensuo
seinen Ausweis und sah den unvermeidlichen Schatten
über ihrem Gesicht.
»Es ist doch nichts ... mit Timo ... mein Mann ist im
Moment in Turku ...«
»Nein, nein«, sagte Joentaa. »Ich bitte Sie, sich gar
keine Sorgen zu machen, wir kommen, weil wir ... in
einem Vermisstenfall ermitteln, und wir benötigen nur
ein paar Auskünfte. Wie gesagt, es ist halb so wild ...«
Joentaa verstummte und dachte, dass er sich besser auf
dieses Gespräch hätte vorbereiten müssen.
»Ja ... dann kommen Sie am besten rein«, sagte Mar-
jatta Korvensuo.
»Danke«, sagte Joentaa.
Sie saßen im Wohnzimmer. Er sah die Verunsiche-
rung und die plötzliche Anspannung in Marjatta Kor-
vensuos Augen und spürte die Unruhe Ketolas, der
neben ihm saß und mit dem Fuß wippte. In regelmä-
ßigen Abständen prallte draußen der Ball gegen das
Garagentor.
»Frau Korvensuo, es geht tatsächlich um Ihren
Mann, Timo Korvensuo ... aber nicht in einer Weise,
dass Sie sich Sorgen machen müssen ... wir möchten
einfach nur einige Dinge erfragen, die möglicherweise
schnell Klarheit bringen.«
»Ja, dann ... bitte«, sagte Marjatta Korvensuo.
»Ihr Mann, sagten Sie, ist zur Zeit in Turku?«
»Ja. Er trifft einen Geschäftspartner ... mein Mann ist
Immobilienmakler.«
»Richtig. Dieser Geschäftspartner, wissen Sie da eine
Anschrift oder eine Telefonnummer? Oder das Hotel,
in dem Ihr Mann zur Zeit ist?«
»Nein ...«, sagte Marjatta Korvensuo. »Tut mir leid, er
hat den Namen des Mannes nicht genannt ...«
Ketola hatte sich abrupt aufgerichtet. »Entschuldi-
gung, dürfte ich die Toilette benutzen?« fragte er.
»Natürlich. Links neben der Eingangstür«, sagte Mar-
jatta Korvensuo. Joentaa sah, wie Ketola mit langen
Schritten im Flur verschwand, und wendete sich wieder
Marjatta Korvensuo zu, die fortfuhr: »Timo hat angeru-
fen ... aus dem Hotel. Da müsste ich die Nummer ge-
speichert haben.«
Sie griff nach dem Telefon, das vor ihr auf dem fla-
chen Glastisch lag.
»Ja, hier. Das ist die Nummer.«
Joentaa nahm das Telefon. »Hätten Sie einen Stift?«
»Natürlich.« Sie stand auf, verließ den Raum und
kehrte gleich darauf mit einem Kugelschreiber zurück.
Von oben hörte Joentaa Musik und Mädchen, die lach-
ten. Der Ball prallte gegen die Garagenwand.
»Danke«, sagte Joentaa und notierte die Telefonnum-
mer des Hotels auf der Visitenkarte.
»Das ist ... Timos Visitenkarte«, sagte Marjatta Kor-
vensuo.
»Hm ...ja ...«.sagte Joentaa.
»Wo haben Sie die denn gefunden? Was ist eigentlich
genau los?«
»Wir ... es ist schwer zu erklären. Die Karte ist sozu-
sagen in unsere Ermittlungen ... hineingeraten ... aber
Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen ... es
geht einfach darum ... den Sachverhalt zu klären.«
Sie setzte sich wieder, und Joentaa fragte sich, warum
er so merkwürdiges Zeug redete und warum er so
intensiv darauf bedacht war, Marjatta Korvensuo nicht
zu beunruhigen. Er versuchte, sich auf seine Fragen zu
konzentrieren. »Ihr Mann ...«, begann er. »Wissen Sie,
ob er, vor allerdings sehr langer Zeit, in Turku gelebt
hat? In den siebziger Jahren?«
»Ja, hat er«, sagte sie sofort, und Joentaa spürte ein
Stechen im Magen. Obwohl das alles natürlich nichts
besagte. Er dachte an den Jungen, der draußen Kopfbälle
übte. Aku.
»Hat er tatsächlich«, sagte sie. »Er hat dort studiert.
Mathematik. Aber dann hat er das Studium abgebro-
chen und ist nach Helsinki gezogen. Gut so, sonst
hätten wir uns wohl nicht kennengelernt.« Sie lächelte
kurz. »Wieso ist das wichtig?«
»Wissen Sie ... noch die genaue Zeit ... wann genau
das war?«
Sie überlegte eine Weile. »Er hat nie viel darüber ge-
redet ... sehr wenig eigentlich ... und es ist ja ewig her
...es muss etwa ... er ist 1974 nach Helsinki gezogen,
also müsste er im selben Jahr Turku verlassen haben ...«
Joentaa senkte den Blick auf die Visitenkarte und
dachte an Ketolas alte Akten und an die Zahl, die Mar-
jatta Korvensuo gerade genannt hatte. 1974.
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