Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
Vom Netzwerk:
gute
    Frage. Ich würde sagen ...«
    Joentaa wartete, aber Ketola hatte den Blick wieder
    auf die Straße gerichtet und schien vergessen zu haben,
    dass Joentaa ihm überhaupt eine Frage gestellt hatte.
    Heinonen rief an und sagte, dass in Helsinki alles glatt
    laufe. Die Kollegen seien auf dem Weg.
    »Danke«, sagte Joentaa. Er schloss die Augen und sah
    Marjatta Korvensuo, in dem Moment, in dem sie ihnen
    die Tür geöffnet hatte. Den Jungen, der den Ball gegen
    das Garagentor kickte.
    »Zu deiner Frage, Kimmo ...«, sagte Ketola in die
    Stille.
    Joentaa öffnete die Augen, aber Ketola antwortete
    wieder nicht, sondern begann zu lachen.
    Erst leise und glucksend.
    Dann laut und wütend.
    »Ich weiß es nicht!«, schrie er plötzlich und lachte
    wieder und wiederholte den Satz in regelmäßigen Ab-
    ständen.
    »Ich habe nicht die allergeringste Ahnung! Ich weiß es
    doch nicht! Frag doch bitte mich nicht!! Frag mich was
    Leichteres!« schrie er immer wieder.
    Er lachte dabei und legte nur ab und zu kurze Pausen
    ein, um sich die Tränen aus den Augen zu wischen.

    11

    Matti Ylönen schmeckte Pfefferminz und spürte zum
    wiederholten Mal den Impuls, Outi ganz gewaltig die
    Fresse zu polieren.
    Was er natürlich nicht tun würde, weil Männer
    Frauen nicht schlugen, das gehörte sich einfach nicht,
    wobei er die Sinnhaftigkeit dieser Grundregel ja immer
    mal wieder gewaltig in Zweifel zu ziehen geneigt war,
    vor allem in letzter Zeit, vor allem, wenn er mit Outi
    zusammen war, zum Beispiel gerade jetzt.
    Outi hockte auf dem Handtuch, verspeiste gleichgül-
    tig den Inhalt des Picknickkorbes, den er mit ziemlicher
    Sorgfalt zusammengestellt hatte, und hing mit dem Ge-
    sicht über einer Modezeitschrift, während aus ihrem
    Mund Vorwürfe und Beleidigungen drangen.
    Er sei also ein Schlappschwanz – was Outi gar nicht
    beurteilen konnte, da sie ihn, was diese Dinge anbe-
    langte, auf später vertröstet hatte –, er sei des Weiteren eine Witzfigur, bei Lichte besehen gewissermaßen ein
    dummes Arschloch, und ihre Freundinnen hätten wohl
    recht, wenn sie sagten, dass daraus nichts werden
    könne, aus ihrer Beziehung, wolle sie damit sagen, die ja
    immerhin schon bald sechs Wochen andauere, und
    vielleicht sei der Zenit überschritten.
    So formulierte sie es, der Zenit war also überschritten,
    nach sechs Wochen, und das fand Matti Ylönen in
    diesem Moment auch, da musste er ihr ganz gewaltig
    zustimmen, und als Outi auch das letzte Kaubonbon in
    ihren Rachen warf, ohne ihm eines anzubieten, wurde
    ihm bewusst, dass es jetzt wirklich so weit war, jetzt
    würde er einmal kräftig zuschlagen, und dann, genau
    dann, wäre der Zenit tatsächlich überschritten und die
    Sache zu seiner vollen Zufriedenheit beendet.
    Er spuckte den inzwischen fade schmeckenden Kau-
    gummi auf den Boden, trat einen Schritt auf sie zu und
    spürte, wie sich die Wut in seinem Arm, in seiner Faust
    sammelte, und Outi hob den Kopf und sah ihm zum
    ersten Mal seit längerer Zeit in die Augen und sagte:
    »Bleib bloß weg von mir, du Sack!«
    Er trat noch einen Schritt auf sie zu, und entschloss
    sich gerade, ihr doch keinen Fausthieb, sondern zu-
    nächst eine fette Ohrfeige zu verpassen, als ihn ein
    Geräusch innehalten ließ.
    Ein Geräusch, das er nicht zuordnen konnte, da er nie
    zuvor etwas Ähnliches gehört hatte.
    Ein lang gezogener Pfeifton, der leise begann, lauter
    wurde, wieder abebbte und wieder lauter wurde.
    Er sah Outi, deren Mund offen stand und die nach
    oben blickte, weil sie den Ursprung des Geräusches im
    Himmel zu vermuten schien, und er dachte, dass er zu
    weit gegangen war, dass ihn jetzt gleich irgendeine üble
    Strafe ereilen würde, obwohl er noch nicht mal zuge-
    schlagen hatte.
    Das Geräusch war inzwischen sehr hoch und sehr
    schrill, und als Outi aufstand und sich neben ihn stellte, als sie sogar nach seiner Hand griff, sah er, dass das Ge-räusch der Schrei war, den der Mann auf der anderen
    Seite des Sees ausstieß.
    Der Mann lief. Nein, er rannte. Er rannte um sein
    Auto herum, einen silbernen Sportwagen, den Matti
    Ylönen vorhin fasziniert betrachtet hatte, und Outi
    hatte gesagt, Männer, die sich über Autos definieren,
    seien lächerlich, und wenn er sich recht erinnerte, war
    sogar aus diesem Wortwechsel über den schwachsinni-
    gen Sportwagen der ganze schwachsinnige Streit ent-
    standen, und jetzt lief der Mann auf der anderen Seite
    des Sees um diesen Sportwagen herum, rutschte aus,
    stand auf,

Weitere Kostenlose Bücher