Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das schweigende Kind

Das schweigende Kind

Titel: Das schweigende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Schrott
Vom Netzwerk:
Gleichgültigkeit dieser Tiere wieder anheimfielen.
    Doch eben vom Flughafen das erste Mal in der Tür, voll des Begehrens, das eine lange Trennung verstärkt, und von Kims Duft aufgereizt, begegnete mir eisige Stille, von dem dein Babbeln im Hintergrund sich desto deutlicher absetzte, als wollten deine Lippenlaute endlich in eine gemeinsame Sprache übersetzt werden. Und so redete ich erneut von einem Haus für uns drei, von einer Familie und ihrem Unterhalt, in einem Esperanto, das bei deiner Mutter auf taube Ohren stieß: sie bestand weiterhin auf getrennten Wohnungen, Alimenten und festgelegten Besuchszeiten. Ich ließ nicht locker, erklärte, was mir keiner Erklärung zu bedürfen schien, beschwichtigte und räumte aus, ohne mehr als Schweigen zur Antwort zu erhalten. Bis deine Mutter mehrere Tage mit dir verschwand, ohne dass ich erfuhr wohin, und mir zum ersten Mal wirklich bewusst wurde, wie sehr ich dich vermissen konnte.
    Als deine Mutter wieder erschien, würdigte sie mich keines Wortes, kaltäugig wie jede Katze, mit dir noch im Tragesitz auf und ab gehend im Raum, leise ein Lied surrend, während die Röhren des Mobiles über unseren Köpfen klirrend gegeneinanderschlugen. Ich wollte dich riechen, an mich drücken und aufwachen sehen und gestand deiner Mutter, mit welch körperlicher Verstörung ich deine Abwesenheit empfunden hatte.
    Dich in einem Tuch um die Brust gebunden, wollte ich nun durch unser Viertel spazieren, stolzer Vater sein und als solcher gesehen werden – doch das stieß bei ihr auf Ablehnung. Ich achtete erst gar nicht darauf, nahm es als übliche kratzbürstige Geste des Widerstands, der danach verlangte, überwunden zu werden, und streckte meine Hand aus nach dir; deine Mutter aber presste den Tragesitz, in dem du noch angegurtet warst, an sich, mit einer Panik bereits, die über jede begreifliche Verlustangst hinausging.
    Ich sagte, dass ich ihre Erlaubnis nicht nötig habe und wurde vor den Kopf gestoßen, sagte, dass du ihr nicht gehören würdest, ein Kind kein Besitz sei und bekam einen Ellbogen in die Rippen, sagte, dass es jetzt genug wäre und zog die Trage zu mir, um in eine Ohrfeige zu laufen. Trotzdem ließ ich nicht locker; und so zerrten wir beide an dir. Ich wollte deiner Mutter in die Arme fallen, sie jedoch entriss dich wieder meinem Griff – und da wusste ich, noch bevor ich es richtig verstand, dass ich euch beide verloren hatte, dass alles nur eine Illusion gewesen war, die Hinnahme des über all die Jahre hingenommenen Zwistes vergeblich, der Glaube an ein gutes Ende ein Trugschluss, die Liebe bloßgestellt als Täuschung.
    Ich warf deine Mutter aufs Bett; es überkam mich, stieg hoch über den Rücken in den Kopf und legte sich mir rot über die Augen. Ihr den Tragesitz entreißend, drückte ich sie erst nur nieder, um mich gegen ihre Schläge zu wehren, bis ich mit den Fingern ihren Hals umschloss und sie zu würgen begann, Daumen und Zeigefinger unter dem Kiefer, so wie sie das stets von mir verlangt hatte, um kommen zu können, ihr Kopf über die Bettkante hängend, der Mund heiser jetzt jetzt jetzt flüsternd, um mich zutiefst zu demütigen, weil ich mich darin vergessen fand. So drückte ich ihr nun die Luftröhre zu, Fingerspitzen und Nagelkanten in die Kehle grabend, und es stieg eine blinde Lust in mir auf, die immer heftiger wurde, eine solche Mordgier, als wäre sie ein Leben lang nur unterdrückt worden, um ihr nun endlich nachgeben zu können: Jetzt Jetzt Jetzt , die Lippen zurückgezogen, die Zähne zusammengebissen, Luft ausstoßend, fauchend, die Augen zusammengekniffen, dass sie brannten. Ich fühlte mich breiter, größer, die Muskeln lang gespannt, sehnig zu einem Satz gestreckt, um meine Fänge in ihren Hals zu schlagen, erfüllt von einer Körperlichkeit, die nur mehr reißen wollte, sich in den Nacken verbeißen, Krallen scharf in die Flanke, der Geschmack in meinem Rachen immer galliger, im Hochgefühl des Blutes, um in diesem Brand alles auszulöschen, jede Erinnerung zu tilgen und alle Zukunft. Zugleich aber verachtete ich mich dafür, dass ich an einem solch bitteren, dunklen Gefühl Gefallen fand, einem Fallen, bei dem ich hilflos um mich schlug, ohne Halt zu finden, die ätzende Spucke deiner Mutter in meinem Gesicht, für die ich sie umso mehr hasste: als ich dich plötzlich hörte. Und sah, dass deine Augen offen standen.
    Zwischen den Nebelbändern ist der Himmel so grau wie die Dächer des Dorfes, der Schorf des Schnees rissig auf

Weitere Kostenlose Bücher