Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)
Clans gewesen. Nicht wenige behaupteten auch, der Grund sei die Entführung einer Ehefrau gewesen, oder eine Tochter wäre mit ihrem Geliebten durchgebrannt. Die meisten jedoch erwärmten sich dafür, dass ein Priester aus der Sippe der Sweeneys von einem Denunzianten aus dem McCloud-Clan verraten worden wäre, oder es hieß – abhängig von den familiären Bindungen, die man hatte –, ein zu den McClouds gehöriger Geistlicher hätte versucht, durch den Geheimgang zur See zu entkommen, wäre aber von einem geldgierigen Sweeney dabei überrascht worden.Der Mann wurde gefangen genommen und gehängt. Da derartige Anklagen Verbrechen betrafen, die jenseits jeder Vergebung geschweige denn Versöhnung lagen, musste man bei dem Thema Stellung beziehen. Ein Ignorieren verbot sich von selbst.
In längst vergangenen Jahren drohte der Fall sich zu einem Dauerstreit in der Gemeinde auszuwachsen, von Generation zu Generation wurde er weitergegeben wie der Konflikt zwischen den Welfen und den Ghibellinen, den Montagues und den Capulets, den Hatfields und den McCoys. Er spaltete die Gemeinschaft, zerriss die gesellschaftlichen Bande, schwächte den Gemeinsinn und lenkte die Leute von der gemeinsamen Aufgabe ab, die den Einsatz all ihrer Kräfte und ihrer ganzen Findigkeit verlangte: vom Kampf ums tägliche Brot.
Um die so dringend benötigte Eintracht wiederherzustellen, streute ein gewisser Pater Fitzsimmons – vor vielen Jahren verschieden, aber ein Mann von salomonischer Weisheit –, eine Reihe von Gerüchten aus, flüsterte diesem oder jenem etwas vertraulich ins Ohr und verbürgte sich für die reine Wahrheit: Die Sache mit den verratenen Priestern wäre eigentlich nur erfunden worden, um einen viel unbedeutenderen Streitgrund zu bemänteln, der längst nicht den heroischen Anstrich hatte und weniger aufregend war. Stolz wie sie waren, ließen sich die Sweeneys und die McClouds davon nicht beeindrucken. Die braven Bürger jedoch, die nur zu bereit waren, einem Freund oder Nachbarn etwas am Zeuge zu flicken, griffen die von ihrem Priester verbreiteten Gerüchte auf, erhoben sie in den Rang eines Evangeliums und verspotteten so die Anmaßung der Sweeneys und McClouds. Deren Familienfehde diente fortan der allgemeinen Belustigung und löste keinen erbitterten Streit mehr aus – zwischen den Sweeneys und McClouds schwelte er dessen ungeachtet weiter undwurde zum Gesprächsstoff, auf den man zurückgriff, wenn die Unterhaltung mal ins Stocken geriet oder ein Fernsehapparat seinen Geist aufgab.
Der Fußmarsch vom Städtchen Dingle zu dem Gelände, auf dem die Rennstrecke abgesteckt war, betrug keinen halben Kilometer. Der Morgenregen hatte sich in Richtung Tralee verzogen, und Kitty und Kieran schritten ohne Mühe auf der sanft ansteigenden Straße dahin, sie hatten lediglich darauf zu achten, nicht von denjenigen überfahren zu werden, die faul oder töricht genug waren, mit ihren Autos zur Rennstrecke zu gelangen. Da es sie juckte, anderen spitze Bemerkungen zu entlocken, gingen sie Hand in Hand. Heute war der letzte der vier Renntage. Kitty hatte am ersten Tag dabei sein wollen. Da sei die Stimmung festlicher, und die Pferde würden in besserer Verfassung sein, denn die meisten müssten jeden Tag ins Rennen gehen, mitunter öfter als nur in einem Lauf. Kieran, der melancholischer veranlagt war, gab dem Schlusstag den Vorzug, denn der erinnere an das unausweichliche Ende aller Dinge. Bei der Verteidigung seiner Ansicht mauserte er sich zu einem ausgesprochenen Anhänger Darwins. Nur die besten Pferde, die es bis hierher geschafft hatten, wären dann noch im Rennen. Die unterlegenen und verletzten hätte man bereits ausgesondert, so dass zu seinem und zu Kittys Vergnügen nur die stärksten übriggeblieben wären.
Kitty hatte kurz überlegt, sich danach aber seiner Meinung angeschlossen. Es gab andere und gewichtigere Dinge, über die man sich streiten konnte. Sie war überzeugt davon, dass sich Kieran Sweeny in Brid verliebt hatte. Wie konnte dieser Mann, dessen Leidenschaft und Zuneigung sich als schier unerschöpflich erwies – und in ihren gemeinsamen Tagen und Nächten sogar an Kraft und Ausdauer zunahm –, wie konnte dieser höchst standhafte undaufrichtige Mann sich verlieben, dazu nicht einfach in eine andere Frau, sondern in den Geist einer anderen Frau?
Einem solchen Gedanken gestattet zu haben, sich in ihrem Hirn einzunisten, reichte Kitty bereits, um ihre eigene geistige Standfestigkeit anzuzweifeln.
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