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Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)

Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Caldwell
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dass er den Gast aufforderte, sich zu setzen und einen Moment zu gedulden, weil er noch einige Posten zu Ende durchgehen müsste. Während des Lesens glitt der Stift über die Einträge in den Spalten des Hauptbuches, hier und da begleitet von einem erschrockenen Aufseufzen oder kleinem Stöhnen, doch ohne jeden Kommentar. Für Kitty war seine Verhaltensweise nichts Neues. Sie wartete, bis der gute Mann fertig war und er mit seinem Stuhl etwas von dem Tisch abrückte, an dem sie beide saßen – er auf der einen Seite, sie auf der anderen, sich getreu an die vorgeschriebene Etikette haltend, wie er es im Priesterseminar gelernt hatte: Bist du allein mit einer Frau, sorge für eine deutliche Trennlinie zwischen dir und ihr. Die Gründe dafür lagen auf der Hand – kein Gelöbnis konnte den Lockkünsten standhalten, die von dem weiblichen Geschlecht der Spezies Mensch ausgingen, viel schlimmer noch, die Frau als solche war schon von Natur aus eine Verführerin, der nicht zu trauen war.
    Pater Colavins Wohnzimmertisch war mit so etwas wie einem großen Schal bedeckt – einem Kleidungsstück seiner Mutter? –, einem Erinnerungsstück aus seiner Kindheit oder noch früherer Zeit, als seine Vorfahren vor fünf Generationen aus Ulster hierher gezogen waren. Sie waren inzwischen fast echtere Einwohner von Kerry als die seit Ewigkeiten Ansässigen selbst. Der Schal mit breiten braunen und rötlichbraunen Streifen, an den Enden mit grauenFransen, die an dichtes, stumpfes Haar erinnerten, sollte dem Raum etwas Anheimelndes geben. Mitten auf dem Tisch stand eine leere Glasschale, die eigentlich für Obst gedacht war und den Versuch einer gutbürgerlichen Wohnzimmergestaltung abrundete.
    Was Kitty von Kindheit an fasziniert hatte, waren die Tischbeine. Oben schon reichlich voluminös, schwollen sie förmlich an, um auf halber Höhe wieder zu ihrem ursprünglichen Umfang zurückzufinden, was in Kitty die Vorstellung erweckte, das jedes Bein eine Melone verschluckt hatte und nicht in der Lage war, den Verdauungsprozess zu beenden. Die Stühle waren gepolstert, der bunt gewirkte Stoffbezug namentlich bei einem Stuhl schon fadenscheinig, nämlich bei dem am oberen Tischende, Pater Colavins Platz. Bei den anderen Stühlen war der Stoff nur ausgeblichen, das Rot der Rosen verblasst und das Grün der Blätter zu einer ähnlich bräunlichen Tönung verkommen – Laub und Blüte waren halt gleichermaßen vergänglich. Auch legten die Stühle Zeugnis für das einsame Leben des Priesters ab, seinen Verzicht auf das selbstverständlichste tägliche Ritual im zivilisierten Leben, das gemeinsame Mahl. Vielleicht genügte ihm das Abendmahl – das heiligste aller Mahle, das man mit dem Erlöser teilte –, es übertraf möglicherweise jedes andere, und er wusste gar nicht, was er entbehrte.
    An der Wand stand eine Anrichte, Ablage für die selten genutzten Platzdeckchen und die Flasche mit Jameson Whiskey, die bei Besuchen von Würdenträgern oder Gemeindemitgliedern, die wegen der Vorbereitung einer Hochzeit, Beerdigung oder Taufe zu ihm kamen, ihre Dienste tat. (Auch Kitty und Kieran waren im Zuge ihrer Hochzeitsvorbereitungen mit einem großzügigen Schluck bedacht worden, ein Vorgeschmack auf das, was sie im Falle von Taufen oder Trauerfeiern erwartete). Mitten über derAnrichte hing das Kreuz des heiligen Patrick, das Keltenkreuz mit verkürztem horizontalen Balken. Die übrige Wand war freigelassen, um die Wirkung des Kreuzes – ein weit wichtigeres Symbol der Iren als das Kleeblatt – nicht zu beeinträchtigen.
    Neben der Tür, die zur Speisekammer führte, hingen die Bilder, die nicht fehlen durften: das Herz-Jesu-Bild im Glorienschein und Maria die Schmerzensreiche, das entblößte Herz durchbohrt von den Dolchen ihrer sieben Schmerzen.
    Auf der anderen Seite neben der Tür hingen gerahmte, durch Lichteinwirkung gelblichbraun gewordene Fotos der Eltern des Priesters. Der Mann mit dem hohen gestärkten Kragen wirkte etwas steif, die Frau, eine geborene Fitzgibbons, durchaus gelöst mit ihrem Spitzenband um den Hals und der Brosche vorn. Die Fenster gegenüber der Anrichte hatten hauchdünne Tüllgardinen, während die Seitenschals aus bernsteinfarbenem Samt waren; sie wurden von Kordeln zusammengehalten, die möglicherweise schon früher mal als Bademantelgürtel gedient hatten. Das Teppichstück war so dünn und das Gewebe dermaßen abgewetzt, dass es sich zusammenschob, sowie man nur den Fuß bewegte.
    Vater Colavin faltete die

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