Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)
enthob, die Gesichtszüge umzuarrangieren, wenn Missvergnügen auszudrücken war.
Kitty hatte keinen Zweifel, dass unter der maßgeschneiderten Kleidung auch die Brust- und Bauchmuskeln, die Wampe und das Gesäß schwabbelten, dem Dahinschmelzen eines Wachsgebildes ähnlich. Die Ohren waren klein, eigentlich sogar winzig, waren auf dem Weg, rudimentär zu werden. Dieses Phänomen der Evolution wurde wahrscheinlich hervorgerufen durch die seit langem bestehende Abneigung, auf das von anderen Gesagte zu hören. Seine Lordschaft war jedoch klug genug gewesen, sich in die Hände eines erstklassigen Schneiders zu begeben – der Hauptzuflucht hoffnungslos Unansehnlicher. Er hatte eine geschmackvolle modische Aufmachung geschaffen, die den Betrachter von der unschönen Anatomie ablenkte, welche so dem Blick verborgen blieb. Entschlossenen Schrittes kam Kitty die Steinstufen herunter, ging an Seiner Lordschaft vorbei zur Tür hinaus, um die eine Seite der Burg herum und den Hang zum Sumpfgelände hinunter. Das ängstliche Muhen der Kühe übertönte das Gebell, eine Kakophonie, die unweigerlich auf das Heranpreschen des Hundes zurückzuführen war. Kittys Anspannung ließ nach, als sie sich erinnerte, dass Sly mit Kieran den Nachmittag über in Tralee war. Sie ging so rasch, dass George Noel fast rennen musste, um sie einzuholen; wollte er an ihrer Seite bleiben, musste er ab und an einen Hopser tun. »Darf ich annehmen, Sie haben keinen Brief von Ihrem Anwalt bekommen … oder von meinem? Oder vielleicht eine E-Mail? Auch keinen Anruf? Eine Nachricht auf Ihrem Faxgerät?«
»Wenn ich arbeite, achte ich auf keines der Kommunikationsmittel. Und ich bin ständig am Arbeiten.«
»Sie haben mich also nicht erwartet?«
»Rufen Sie Ihren Hund!«
»Dann haben Sie also keine Ahnung, was Ihnen bevorsteht?«
»Ich weiß, was Ihrem Hund bevorsteht, wenn Sie ihn nicht zurückrufen.«
»Das ist mir wirklich sehr peinlich.«
Drei in Panik geratene Kühe brachen durch das Gesträuch, das den Sumpf umgab. Der Hund knurrte und schnappte mal nach der einen, dann nach der anderen. Kitty drehte sich abrupt um, griff vorn ins Tweedjackett der Lordschaft und drehte den Stoff im Uhrzeigersinn, um sein Gesicht näher an ihres zu bringen. »Hören Sie«, sagte sie, »ich bin eine Frau von unendlicher Geduld, aber nun hat sich die Unendlichkeit erschöpft. Sie betreten widerrechtlich mein Grundstück. Ihr Hund bedroht meine Kühe, und wenn Sie nicht von hier verschwinden, sobald ich auch nur eins zähle, prozessiere ich Ihnen das Hemd vom Leibe.«
»Ich denke, Sie sollten zuallererst mein Jackett loslassen.«
In dem Moment drangen lautes Gequieke und schrilles Quietschen aus dem Unterholz, und schon kam der Hund, verfolgt vom Schwein, den Hang heraufgaloppiert, wich urplötzlich zur Seite aus, raste hinunter und wieder herauf. Dann ging das Schwein zum Nahkampf über, und der Gejagte blieb, von der Kühnheit des Angriffs überrascht, wie erstarrt stehen, verharrte so vielleicht zwei Sekunden und retirierte hinter die Beine Seiner Lordschaft. Das Schwein steuerte in raschem Lauf auf Hund und Herr zu, dachte nicht daran, stehenzubleiben, sondern drängte sich ungestüm zwischen die hellbraunen Hosen und Kittys blaue Jeans. Der Hund drohte das Schwein anzufallen, fletschte die Zähne, wollte schon zuschnappen. Kitty drehte die Kragenaufschläge noch fester, bis sich ihre Nase und die Seiner Lordschaft fast berührten. Sie, George Noel Gordon, der Hund und das Schwein, alle erstarrten in ihrer jeweiligen Pose.
Seine Lordschaft, Kittys zusamengekniffene Lippen unmittelbarvor sich, bat: »Könnten Sie vielleicht mal Ihr Schwein zur Ordnung rufen? Es beschmutzt meine Hosen.«
Und damit endete die Episode. Kitty ließ den Tweed Seiner Lordschaft fahren, was beiden ermöglichte, sich wieder frei zu bewegen und das an ihren Beinen schubbernde Schwein loszuwerden. Der Hund wurde in den Sportwagen verfrachtet. Das Schwein schnüffelte im Gras.
»Ich hatte nicht …«, sagte Seine Lordschaft und versuchte sein Jackett an der hohlen Brust glatt zu streichen, »… hatte nicht so etwas Unziemliches erwartet.«
»Dafür wissen Sie nun, woran Sie sind«, erwiderte Kitty. »Ich empfange selten Gäste am Nachmittag.«
»Ich hatte gehofft, wir könnten – wie in der E-Mail und der telefonischen Benachrichtigung übermittelt – uns über gewisse Absprachen verständigen.« Er wischte einen Fleck des noch feuchten Schweinesabbers vom linken Knie seiner
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